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Einübung in die Fremde

Marie-Luise Scherer liest im Literaturhaus

Die 1938 in Saarbrücken geborene Autorin Marie-Luise Scherer hat keine schnelle Schreibe. Sie hadert mit den Worten, gräbt im Text, bis es „stimmt“. Jeder Satz soll sitzen wie ein Handschuh, sagt sie – und tatsächlich ist ihr feinsinniger Journalismus über den Ungeheuren Alltag (so ein Buchtitel aus dem Jahr 1988) in Deutschland fast einzigartig.

Gerade ist eine Sammlung mit Erzählungen mit dem Titel Der Akkordeonspieler erschienen, der unter anderem das Leben des Kasachen Vladimir Kolenko in seiner neuen Berliner Heimat unter die Lupe nimmt. Aus ihm wird sie jetzt im Literaturhaus lesen. Kolenko ist mit der „Bakola“, seinem Akkordeon, drei Flaschen Wodka und einigen sowjetischen Jubiläumsmünzen nach Berlin gekommen, die er verkaufen möchte: „Zur Einübung in die Fremde setzte er sich in die S-Bahn und fuhr, einer Eingebung folgend, zwölf Stationen. Er befand sich nun an der Jannowitzbrücke. Und für einen Ort, den er nach einem inneren Lotteriesystem sich selber zugewiesen hatte, war es ein Treffer, der ihm nach fünf Stunden Spiel schon siebzig Mark einbringen sollte.“

Marie-Luise Scherer schaut so genau hin, dass die Augen schmerzen. Die paradoxe, luzide Düsternis ihrer Texte ist überwältigend, die Eleganz ihres literarischen Stils überdeckt die tristen Sujets dabei kaum. Im Gegenteil: Gerade der Detailreichtum ist es, der die Widerwärtigkeiten und Bösartigkeiten des Lebens konturiert hervortreten lässt. Diese Literatur sticht zu wie ein Messer. Marc Peschke

Mi, 8.12., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38

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