kein kommentar!
: 15 Minuten Ruhm

Bis 2006 ist es noch lange hin: über zwölfeinhalb Monate, fünfundfünfzig Wochen oder dreihundertneunzig Tage. Bei ARD und „SZ“ interessiert das aber keinen.

Eine Viertelstunde hingegen ist ziemlich kurz: Sie dauert fünfzehn Minuten. Auf die nächste U-Bahn wartet man manchmal länger. Aber wenn der ARD-Programmdirektor Günter Struve sagt, er „hoffe“, dass das ARD-Nachrichtenjournal „Tagesthemen“ im Jahr 2006 eine Viertelstunde früher ausgestrahlt werde und deshalb die (ab nächsten Monat ja komplett um 21.45 Uhr ausgestrahlten) ARD-Politmagazine eventuell um eine Viertelstunde gekürzt werden könnten, dann steht das hinterher als „Radikal-Umgestaltung“ sogar im Bocholter-Borkerner Volksblatt.

Zuerst allerdings – auch das steht selbstverständlich im Bocholter-Borkerner Volksblatt und überall sonst, wo über Struves mittelfristige ARD-Planspiele berichtet wird – stand es natürlich in der Süddeutschen Zeitung, die Struves Gedankenspiele zunächst als Vorabmeldung an die Nachrichtenagenturen gab und sie in ihrer Freitagsausgabe dann zum Aufmacher der Medienseite machte: Schließlich ist „22.15 Uhr: Zeit für Tagesthemen“ eine Schlagzeile, die man offenbar gar nicht groß genug machen kann – jedenfalls nicht in der Süddeutschen.

Und weil das Ganze so schön war, hat man das Interview mit Struve im daneben stehenden Artikel auf derselben Länge einfach noch mal erzählt. Dass Struve „diesen Plan jedoch im Grunde seit 1992“ verfolge, stand erst tags drauf in der Frankfurter Allgemeinen. Dass Struve ohnehin kein großer Freund der guten alten öffentlich-rechtlichen Politmagazine ist, stand in den vergangenen Jahren fast überall, wo etwas über die guten alten öffentlich-rechtlichen Politmagazine geschrieben stand. Und wer sich beispielsweise heute Abend „Report Mainz“ anschaut, dürfte sich (angesichts angekündigter Beiträge zu Themen wie „ Schönt der Medizinische Dienst die Lage?“, „Versagt die Hauptschule?“, „Versickern Hilfsgelder aus Deutschland?“ oder „Frauen in Gefahr – Das perfekte Verbrechen mit K.o.-Tropfen?“) fragen, warum, bitte schön!, die Sendung nur 15 Minuten kürzer werden soll und wieso erst 2006 …

„Die Magazine würden dramaturgisch dichter und bekämen mehr Zuschauer“, sagte Struve im SZ-Interview. „Die Magazine würden durch die halbstündige Sendezeit dramaturgisch dichter und für den Zuschauer attraktiver werden“, sagte er gestern dem Berliner Tagesspiegel, während die FAZ ihn lieber mit noch verschmitzteren Worten zitiert: „Am Abend ist jede Viertelstunde kostbar.“ Und das wenigstens stimmt heute ebenso wie in dreihundertneunzig Tagen. Es sei denn, man hechtet auf den U-Bahn-Steig: Dann nämlich ist der Zug garantiert längst abgefahren. CHRISTOPH SCHULTHEIS