Wohliger Seufzer der Bescheidenheit

Werder Bremen feiert still und leise die Weihnachtsmeisterschaft: Die Fußballer von der Weser scheinen selbst ein wenig verdutzt darüber zu sein, wie bestechend sie in der Bundesliga-Hinrunde ihre Gegner an die Wand gespielt haben

„Wir haben jetzt 39 Punkte, damit ist der Klassenerhalt gesichert“Wird Werder Meister, will Allofs eine Bommel-Kappe á la Uli Hoeneß tragen

AUS BREMEN MARKUS JOX

„Deutscher Meister wird nur der SVW, nur der SVW, nur der SVW...“: Für ein paar Minuten ließen selbst die Studenten der Bremer Universität ihren „Streik“ Streik sein. Anstatt ihr eher kleines „Transpi“ mit der zaghaften Majestätsbeleidigung „Bildungs- und Sozialabbau / Lemke geh‘ zum HSV“ noch einmal in die Kameras zu recken und über Bremens Bildungssenator, den Ex-Werder-Manager Willi Lemke, zu jammern, skandierten die braven Hochschul-Eleven in der Ostkurve – bar jeden hochgestochenen Protest-Diskurses – aus voller Kehle die Meisterschaftsprophezeiung. Und dann blieb ihnen vor Freude der Mund offen stehen.

Denn als am Dienstagabend kurz vor Zehn der Schiedrichter Lutz Michael Fröhlich das Bundesliga-Spiel von Werder Bremen gegen Hansa Rostock abgepfiffen hatte, verwandelten sich die elf Schaaf-Zöglinge aus verdreckten, nassgeschwitzten Fußballprofis in rote Weihnachtsmänner. In lustigen Mänteln, mit Zipfelmützen und eigens bedruckten T-Shirts („Weihnachtsmeister 2003“) begab sich das siegreiche Team auf seine Ehrenrunde. Werder hatte mit einem – glücklich-holprigen 3:0-Erfolg über die Gäste von der Ostsee (über das Spiel breitet man lieber den Mantel des Schweigens aus) die Herbstmeisterschaft gewonnen. Bis Ende Januar darf sich die Bremer Fußball-Gemeinde nun an dem Blick auf eine Tabelle ergötzen, die Werder anführt.

Bezeichnend für die leisetreterische Art des Vereins aber war der erste Satz, der dem Stadionsprecher nach dem Spiel über die Lippen kam: „Wir haben jetzt 39 Punkte“, sagte er, „wisst ihr, was das heißt?“ Und dann: „Damit haben wir den Klassenerhalt gesichert.“ Welch wohliger Seufzer der Bescheidenheit.

Auch Trainer Thomas Schaaf weiß, was man nach einem Spiel von ihm hören will. Er hat ja stets die Rolle des kühlen Blonden zu geben, der noch in der leckersten Suppe ein ekliges Haar findet. So begann Schaaf, der wie immer im Winter in einem jugendlichen Kapuzensweatshirt steckte, auch diesmal wieder seine Moser-Suada: „Das war sicher kein so rundes Spiel heute, wir sind unnötige Wege gegangen, haben nicht so gut kombiniert wie sonst...“ Doch plötzlich unterbrach der Trainer seinen eigenen Redefluss, räusperte sich kurz und sagte: „Aber ich mecker‘ schon wieder die ganze Zeit, vielleichte sollte ich doch mal auf die Tabelle schauen.“ Dann meinte er, er könne „eigentlich alle nur in den höchsten Tönen loben.“ Um hernach einen der klassischsten Thomas-Schaaf-Sentenzen überhaupt zu drechseln: „Wir werden sicherlich auch im zweiten Halbjahr der Saison wieder etwas Gutes anbieten.“

Sportdirektor Klaus Allofs sprach nach dem Spiel von einer „Siegermentalität“, die er neuerdings bei seiner Mannschaft feststelle. Und er sieht zwei weitere Gründe dafür, dass Werder ganz oben steht: kaum Verletzte und hervorragende Stürmer. Keine Mannschaft hat mehr Tore geschossen als die Bremer, nämlich 45 Stück. „Natürlich ist Bayern München der Titelfavorit“, sagte Allofs gleichwohl pflichtschuldig und mit werdertypischem Understatement. Allerdings war der Sportdirektor derart enthusiasmiert, dass er der Journaille ohne Not eine Wette anbot: Wird Werder Meister, will der adrett frisierte Allofs allen Ernstes eine Bommel-Kappe á la Uli Hoeneß auf sein Haupt setzen.

Auf Allofs wartet im neuen Jahr viel Arbeit: Die Verträge mit den Stützen der Mannschaft – Johan Micoud oder Fabian Ernst – wollen verlängert werden, außerdem sucht Werder noch immer heftig nach Ersatz für Ailton. Besonders oft wird hier der Name des Kaiserlauterners Miroslav Klose gewispert – der jedoch kommt in der laufenden Saison mit seinen neun Törchen gegenüber den 16 Treffern des Brasilianers fast einer personifizierten Ladehemmung gleich.