Jetzt wird um die Macht gefingert

Es gibt für den scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma und seinen Apparat noch viele Möglichkeiten, der Opposition den Sieg zu verderben

AUS LWIW JURI DURKOT

Die turbulente Parlamentssitzung am vergangenen Samstag zeigt unmissverständlich: Die politische Situation in der Ukraine bleibt sehr angespannt. Zwar wurde das Urteil des Obersten Gerichts vom Vortag über die Wiederholung der Stichwahl am 26. Dezember als ein wichtiger Etappensieg der Opposition gewertet, aber sicher bleibt auch – das Regierungslager um Präsident Kutschma und Ministerpräsident Janukowitsch hat noch lange nicht aufgegeben.

Die Regierung kann nicht mehr mit einer treuen Mehrheit im Parlament, der Werchowna Rada, rechnen, doch auch die Anhänger von Wiktor Juschtschenko müssen bei jeder Abstimmung bangen. Am Samstag wurden die ersten Risse in der aus der Juschtschenko-Partei Nascha Ukraina, dem Wahlbündnis von Julia Timoschenko und den Sozialisten um Olexandr Moros bestehenden Opposition sichtbar.

Es ging um Änderungen im Wahlgesetz. Man wollte massive Fälschungen bei der Wahlwiederholung verhindern. Entscheidend wären zwei Korrekturen gewesen: Eine verbesserte Kontrolle über die Ausgabe der Wahlscheine und ein Verbot, die Stimmen außerhalb der Wahllokale abzugeben. Abgesehen von der abenteuerlichen Wahlbeteiligung von 99 Prozent im Osten des Landes waren die beiden wichtigsten Varianten der Manipulation eine mehrfache Stimmabgabe und die Wahl von zu Hause aus. Die Opposition sprach von mindestens einer Million Wähler, die mit Wahlscheinen unterwegs waren, viele sollen mehrmals votiert haben. Und in einigen Wahlbezirken hat bei der Stichwahl am 21. November rund ein Drittel der Wähler zu Hause abgestimmt – ohne jegliche Kontrolle.

Doch im Plenum kam es zu einem Eklat. Das Regierungslager kam auf die Idee, über das Wahlgesetz im Paket mit der Verfassungsreform abzustimmen. Die Gespräche über eine Verfassungsreform, die eine Entmachtung des Präsidenten zugunsten von Parlament und Ministerpräsident bedeuten würde, dauern bereits einige Jahren. Das ursprüngliche Ziel – Juschtschenko bei einem möglichen Sieg die Machtfülle zu nehmen – konnte aber nicht erreicht werden. Im Frühjahr fehlten dem Regierungslager für die Verabschiedung der Reform sechs Stimmen zur Zweidrittelmehrheit. Mittlerweile spricht sich auch die Opposition für die Verfassungsänderungen aus, wenngleich sie plädiert, dass einige Vollmachten beim Präsidenten bleiben. Allerdings hat Nascha Ukraina zwei Vorbehalte: Die Reform soll erst nach den Parlamentswahlen 2006 in Kraft treten und darf erst nach der Präsidentenwahl verabschiedet werden.

Damit gehen Juschtschenko und Timoschenko auf Konfrontation zu den Sozialisten – der Bündnispartner Moros will die Reform sofort. Er fürchtet, dass es sonst gar nicht dazu kommen wird.

Die Abstimmung im „Doppelpack“ führte zu keinem Ergebnis. Die Verstimmung bei den Sozialisten war deutlich zu spüren. Ein Erfolg für das Regierungslager, das seit langem einen Keil zwischen die Koalitionspartner treiben will. Auf jeden Fall muss sich nun Nascha Ukraina um Schadensbegrenzung bemühen.

Auch wenn die Wiederholung der Stichwahl wohl nicht mehr zu vermeiden ist, und Janukowitsch im „Normalfall“ kaum mit einem Erfolg rechnen kann – die Opposition sollte sich keinesfalls auf einen leichten Sieg einstellen. Dass Wiktor Juschtschenko in den Umfragen einen Vorsprung von sechzehn Prozent hat und die Mobilisierung seiner Wähler kaum nachlassen wird, ändert nichts daran. Sicherlich werden sich Präsident Kutschma und seine Umgebung noch einige Tricks einfallen lassen und die Macht nicht kampflos abgeben.

Bisher hat sich der ziemlich ruhmlos aus seinem Amt scheidende Kutschma nach dem Misstrauensvotum im Parlament hartnäckig geweigert, die Regierung und die total diskreditierte Zentrale Wahlkommission abzusetzen. Somit spielt er nicht nur auf Zeit, sondern missachtet auch den Willen der Werchowna Rada. Das Regierungslager wird wohl immer wieder Verzögerungen versuchen. Es ist kaum zu erwarten, dass Leonid Kutschma das veränderte Wahlgesetz unterzeichnen wird, selbst wenn es das Parlament noch verabschieden sollte. Die Chancen dafür sind allerdings gering. Vor seinem Vetorecht hat er schon einmal vor der Stichwahl am 21. November Gebrauch gemacht. Wenn alles so bleibt, sind Wahlfälschungen programmiert.

Man kann die Arbeit der Wahlkommissionen blockieren und die Stichwahl so schlampig vorbereiten, dass am Wahltag wieder Chaos herrscht. Möglicherweise ist dies gerade das Ziel des scheidenden Präsidenten – noch einmal im Trüben zu fischen.