keith richards
: Rock-‘n‘-Roll-Übermensch

KEITH RICHARDS, Gitarrist der Rolling Stones, hat den Rock ’n’ Roll als Attitüde von der Jugendkultur entkoppelt. Heute wird er 60.

Vielleicht ist das seine größte Rock-’n’-Roll-Leistung: Ganze vier Tage anständige Arbeit hat Keith Richards in seinem Leben verrichtet. Mit 17, im Dezember 1961, in einem Postamt, um vom Verdienst eine Schallplatte (!) für seine Mutter zu kaufen. Vier Tage Jobben in 60 Jahren. Eine eigene Hall of Fame sollten sie ihm bauen dafür.

Ja, 60 Jahre, heute sind sie voll. Der Mann, den Sie unter Umständen auch diesen Sommer wieder auf einer Konzertbühne near you mit seltsamen Bändeln im Haar, Furchen und Grinsen im Gesicht seine Gitarre haben beharken sehen, könnte unter Umständen Ihr Großvater sein.

Genau: Das ist Ihnen klar. Und Sie finden es gar nicht so seltsam. Jedenfalls nicht so seltsam wie zum Beispiel vor zehn Jahren, als die Rolling Stones 50 waren und tourten. 60 ist ein absurdes Alter für Rockmusiker, aber wenn jemand die Latte stetig höher legen darf, dann sind es die Stones. Die haben das Ganze schließlich erfunden, zumindest ist das mittlerweile die verbreitete Wahrnehmung.

Vielleicht ist es sogar tatsächlich so: Die Rolling Stones sind in diesen 00er-Jahren so, hm, cool wie seit den 70ern nicht mehr. Gerade, weil sie so alt sind – und weil sie mit Keith Richards den Dude an Bord haben, dessen Typ heute wieder verstärkt gefragt ist. Richards hat den Archetyp des rebellischen, drogenfressenden, hedonistischen, todesverachtenden Couldn’t-give-a-fuck-Rock-’n’-Rollers geprägt. Dann hat er ihn erst ad absurdum geführt, einfach dadurch, dass er nicht gestorben ist wie die vielen anderen um ihn herum („Er hat gute Gene“, sagt ein Mediziner, „Er ist gar kein Mensch“, sagen andere; es wäre interessant zu wissen, wie viele Tageszeitungen dieser Welt seit den frühen 70ern ihren Richards-Nachruf in der Schublade haben und jährlich aktualisieren; und wie viele damit irgendwann aufgehört haben). Dann hat er den Typus erweitert und einen völlig neuen möglich gemacht: den Altrocker. Keith Richards, der Undomestizierte (seine ewige Rolle neben dem Salongecken Mick Jagger), hat den Rock ’n’ Roll als Attitüde von der Jugendkultur entkoppelt. Dadurch freilich auf der einen Seite unermesslichen ästhetischen Schaden angerichtet, aber doch auch so viel Balsam auf Seelen gegossen, die von ihrem schrumpelnden Peter Pan da oben das Recht ableiten, selbst ein bisschen jung zu bleiben, jung zu tun. Das sollte man nicht gering achten. Ebenso wenig die Tatsache, dass Richards sich in all den Jahren nie final zum Narren gemacht hat. Er hat es geschafft, über seine Funktion als Hyper-Maskottchen des „Rock-’n’-Roll-Lifestyle“ hinaus und inmitten der ganzen Aufblaspuppen und Feuerwerke „Keef“ zu bleiben, der Typ, der eigentlich nur Gitarre spielen will, und dem man das abnimmt. Die Kaspereien überließ er Jagger.

Wie schön erfrischend etwa, weil so ungewohnt widerborstig in Zeiten, da Altersmilde zum guten Ton und der Rock zu den bürgerlichen Alltagsverrichtungen gehört, wie Richards Jagger zuletzt herb dafür ans Bein pinkelte, dass der sich „von einem Establishment, das sein Bestes getan hat, uns ins Gefängnis zu werfen und um die Ecke zu bringen“, zum Lordritter schlagen ließ.

Da wird einer 60 und weiß noch, wer die Bösen sind. Dafür noch ein Giebelchen mehr in der Ruhmeshalle. Und eins für das Solo in „Sympathy For The Devil“. Und eins für (persönliches Anliegen hier eintragen).

Alles Gute. JOSEF WINKLER