21-mal lebenslang für Terror-Chef

Athener Gericht verkündet die Urteile gegen Mitglieder der „Revolutionären Organisation 17. November“. Die politische Klasse Griechenlands spricht von einem Sieg des Rechtsstaates. Juristische Beobachter weisen auf Verfahrensmängel hin

von NIELS KADRITZKE

Im Prozess gegen die „Revolutionäre Organisation 17. November“ hat ein Athener Gericht gestern sechs der neunzehn Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt. Den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgend erhielten zudem weitere neun Angeklagte Haftstrafen zwischen 25 und 8 Jahren, vier wurden freigesprochen.

Die härtesten Strafen nach dem erst kürzlich verabschiedeten „Antiterrorgesetz“ verhängte die Strafkammer gegen die drei prominentesten Angeklagten. Der 59-jährige Alexandros Jotopoulos, den das Gericht für den Kopf des „17. November“ erachtet, erhielt als „moralischer Anstifter“ aller verhandelten Straftaten 21-mal lebenslänglich. Dimitris Koufodinas als „Exekutor“, der bei den meisten Mordanschlägen die Todesschüsse abgegeben hat, wurde zu 13-mal lebenslänglich verurteilt, sein wichtigster Helfer Savas Xiros zu 6-mal lebenslänglich. Dessen Festnahme am 29. Juni 2002 hatte zur Verhaftung der meisten anderen Terroristen geführt und den Prozess gegen die seit 1975 aktive Gruppe erst ermöglicht.

Wegen der Verjährungsgrenze von 20 Jahren konnten nur die seit 1983 begangenen schweren Straftaten verhandelt werden. Damit blieben auch die vier Morde außer Betracht, die der 17. November seit Dezember 1975 begangen und in offiziellen Verlautbarungen gefeiert hatte. Das Gericht stand in der neunmontatigen Verhandlung vor der komplizierten Aufgabe, 19 Morde und circa 2.000 weitere Straftaten den einzelnen Angeklagten zuzuordnen. Das ist nach Einschätzung juristischer Beobachter nur unvollkommen gelungen.

Kritisch werden vor allem zwei Punkte gesehen: Die Verurteilung von Jotopoulos stützt sich auf belastendes Material (Fingerabdrücke, handschriftliche Notizen), die in einem anderen Prozess kaum ausgereicht hätten. Das entscheidende Gewicht bekamen damit belastende Aussagen von Mitangeklagten, die aber nach griechischem Strafrecht nicht ausschlaggebend sein dürfen. Die meisten der lebenslänglichen Urteile stützen sich auf Aussagen, die Savas Xiros nach seiner Festnahme in Polizeigewahrsam gemacht, aber später widerrufen hat.

Regierung und Opposition begrüßten die Urteile als Sieg des Rechtsstaats. Die politische Klasse ist erleichtert, weil sie jetzt das Argument entkräften kann, die Olympischen Spiele 2004 seien durch hausgemachten Terrorismus bedroht. Deshalb legten Polizei und Regierung größten Wert auf die Feststellung, dass Jotopoulos und Koufodinas die „Köpfe“ der Gruppe waren. Diese Einschätzung wurde durch die Einzelurteile bestätigt.

Der verurteilte Jotopoulos hat dies zum Anlass genommen, den Schuldspruch gegen ihn als amerikanische Auftragsarbeit abzutun und Griechenland als US-Kolonie zu bezeichnen. Doch solche Slogans kommen nicht mehr an. Nach einer Umfrage von gestern sind nur 10 Prozent der Bevölkerung der Meinung, es habe sich um einen „ungerechten“ Prozess gehandelt. Die griechische Öffentlichkeit zeigt an einem rechtsstaatlichen Diskurs über die Qualität des Prozesses auch kein Interesse, weil in dem Prozess der „Mythos“ des 17. November stark gelitten hat. Sichtbar wurde eine Gruppe, deren Führer von ihren Banküberfällen auskömmlich lebten, und deren ideologische Rechtfertigung sich auf den Spruch beschränkte, solange Arme und Reiche existierten, werde es Gewalt geben.

Dieser Prozess legte vor allem die Banalität des Terrorismus und den Realitätsverlust seiner Protagonisten offen. Insofern hat Koufodinas im Gerichtssaal ein angemessenes Schlusswort gesprochen: „Uns interessiert nur das Urteil der Geschichte und des griechischen Volkes.“