„Der Staat muss neutral erziehen“

Islambeauftragte der SPD will Lehrern das Tragen von Kopftuch und Kreuz untersagen

BERLIN taz ■ Ein Tuch über dem Haar, Jesus über der Tafel – das sollte in deutschen Klassenzimmern verboten sein, findet Lale Akgün, Islambeauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag. „Lehrer dürfen Kinder nicht durch solche Symbole religiös oder politisch beeinflussen“, sagte sie gestern in Berlin. Damit widersprach Akgün der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck, die sich gemeinsam mit rund 70 Frauen aus Politik, Kultur und Medien gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochen hatte.

Die Lehrerin einer staatlichen Schule, so Akgün, repräsentiere für die 45 Minuten, die sie vor der Klasse stehe, den Staat. Ob sie religiös sei, welche Partei sie wähle – das sei Privatsache und nicht Teil ihres Bildungsauftrags. „Wenn der Staat den Eltern Rechte entzieht, indem er auf dem Schulbesuch besteht, dann ist er auch verpflichtet, die Kinder weltanschaulich neutral zu erziehen“, sagte Akgün. Das heiße auch: kein Kruzifix, keine Kippa. Denn das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass alle religiösen Symbole gleich zu behandeln seien.

Akgün sieht ihr Votum durch persönliche Erlebnisse bestätigt: „Gerade Mädchen aus Migrantinnenfamilien ringen schwer um ihre Identität. Trägt die Lehrerin Kopftuch, so gibt sie ihnen eine Deutung des Islam vor.“ Dabei gibt es in Deutschland etwa 80 islamische Strömungen. Manche bezeichnen das Tragen des Kopftuchs als religiöse Pflicht. Andere interpretieren es als Tradition, die sich nicht explizit aus dem Koran ableiten lässt. Vielen gilt es als Symbol für ein Islamverständnis, das Frauen unterdrückt.

Niemand in Deutschland aber, so Akgün, werde Schülerinnen oder Verkäuferinnen hindern, sich ein Tuch umzubinden. Auch hier ist die Rechtsprechung eindeutig: In privatrechtlichen Arbeitsverträgen dürfen Musliminnen Kopftuch tragen, urteilte das Bundesarbeitsgericht 2002. Eine Diskussion wie in Frankreich ist undenkbar. „Manche sagen, eine Kopftuchverbot sei der erste Schritt, muslimischen Glauben aus dem Alltagsleben zu verbannen. Das ist Panikmache. Die Gerichte urteilen anders“, sagte Akgün.

Während in Berlin die Bundespolitiker fachsimpeln, erkennen derzeit die Länderparlamente, wie wenig sie über den muslimischen Schulalltag wissen. Wie Eltern, Kinder und Kollegen das Kopftuch empfinden, ob Konflikte schwelen, ist kaum untersucht. Niedersachsen vertagte am Dienstag mangels Fachwissen die Entscheidung über ein Kopftuchverbot. Die SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen gab eine Studie in Auftrag, die die Situation an den Schulen des Landes untersucht. Weg von der Grundsatzdebatte hin zu praktischen Relevanz – das ist der neue Trend, zumindest auf Länderebene.

COSIMA SCHMITT