Der Zauber von Zarah Leander

Von alten Ufa-Filmen inspiriert, startete Tim Fischer seine Karriere als Chansonnier, die nicht ohne Höhen und Tiefen verlief. Mit seiner Show „Yesterday once more“, mit der er bis Ende des Jahres im Tipi am Kanzleramt gastiert, zieht er nun Bilanz

von AXEL SCHOCK

Schulterlang fällt das blonde glatte Haar. In Momenten sängerischer Ekstase wird es bisweilen auch mal wild zerzaust. Dann fletscht Tim Fischer meist mit den Zähnen, und die Stimme schlägt ums ins Tremolo. Ein androgynes Wesen in gefährlich hohen Plateauschuhen und Ganzkörperhosenanzug, dessen Ausschnitt beinahe bis zum Bauchnabel reicht.

Die Zeiten, als Tim Fischer noch ganz artig im Anzug und mit Weste auftrat, sind wahrlich lange vorbei – auch wenn das Blondhaar heute nicht mehr echt wie noch vor einem guten Jahr, sondern nur noch eine Perücke ist. Gerade mal 30 Jahre ist der Wahl-Berliner inzwischen alt und hat mittlerweile doch schon fast alles erreicht, was für einen Chansonnier in Deutschland möglich ist. Wenn Tim Fischer heute durch die Lande zieht, leistet er sich eine siebenköpfige Band. Und gespielt wird nicht mehr auf Kleinstbühnen wie in den Anfangsjahren, sondern auf großen Staats- und Stadttheaterbühnen.

Seit 15 Jahren macht er dieses Geschäft nun schon. Mit seiner Show „Yesterday once more“, mit der er im Tipi am Kanzleramt gastiert, liefert er nun eine Zwischenbilanz aus diesen Jahren. „Es ist ein Geschenk an die Fans, die mich immer wieder belatschern, meine alten Lieder zu singen“, erzählt Fischer.

Begonnen hat seine Karriere in Oldenburg, wo Fischer aufgewachsen ist. Mit 15 Jahren hatte er seine ersten professionellen Auftritte, mit 17 brach Tim Fischer die Schule ab und ging nach Hamburg. Sein erstes großes Programm widmete er jener Dame, die ihn überhaupt zum Chanson verführt hatte: Zarah Leander.

Während andere Jungs in seinem Alter Fußball spielen gingen, saß Tim Fischer fasziniert vor dem Fernseher, wenn alte Spielfilme aus den Ufa-Studios gezeigt wurden. Die Lieder von Marlene Dietrich, Edith Piaf und insbesondere von Zarah Leander wurden seine Welt. Mit seinem ersten Programm „Zarah ohne Kleid“, in dem er Leanders Lieder im schlichten Nickipulli interpretierte, wurde Tim Fischer über Nacht ein Star.

Die Jahre danach aber, er war mittlerweile nach Berlin gezogen, wurden künstlerisch schwierig. „Ich wusste nicht so recht, wie es weitergehen sollte.“ Es war die Zeit mit schwarzem Jackett, ordentlich gescheitelten Haaren, Chansons von Ingrid Caven und Kunstliedern von Franz Hummel. Ambitioniert, technisch brillant – aber manchmal war man als Zuhörer nur mäßig berührt. Dann kam, was sich im Leben eines Künstlers immer ganz gut macht und wahrscheinlich unabdingbar ist, um ein Star zu werden: der Tiefpunkt. Alkohol, Drogen, ein mittelloses Leben in einem Bauwagen.

Der Neuanfang war schwer, aber rasant. Mit einem Male füllte er spielend den Friedrichstadtpalast – und eingefleischte Fans hatten immer noch die alten Geschichten vom Hungerkünstler aus zerrüttetem Elternhaus im Kopf und reichten mildtätig Butterbrote auf die Bühne. In kürzester Zeit hat sich Tim Fischer freigesungen und seinen eigenen Weg gefunden. Mit wiederentdeckten, neu interpretierten Klassikern. Mit Songs, die ihm Kollegen – etwa Thomas Pigor oder Cora Frost – eigens geschrieben haben. Als brillanter Interpret der Moritaten von Georg Kreisler sowie mit Pop- und Rocksongs von Rio Reiser oder Tom Waits, die er neu aufleuchten lässt.

Fischer ist kein klassischer Entertainer. Er kann eine halbe Stunde singen, ohne auch nur eine Moderation dazu zu liefern. Viel lieber schlüpft er Lied um Lied in immer neue Rollen. Ist Diva und Todesengel (bei Ludwig Hirschs „Komm großer schwarzer Vogel“), lebensmüder Jüngling und Femme Fatale. Grölt bayrisch, leidet wienerisch. Ist manieriert in den Gesten und dann wieder zart und schlicht im Ausdruck. Und wenn ein Lied wie die „Caprifischer“ für ihn zur Pflichterfüllung im Rahmen einer Best-of-Show geraten könnte, rettet er sich den eigenen Spaß, in dem er das Lied als betrunkene Geisha in goldfarbenen Hotpants darbietet.

Die harte Arbeit, die hinter dieser lustvollen Show steckt, ist für den Zuschauer kaum zu erkennen. Dennoch ist Tim Fischer ein Arbeitstier. Sein Tourplan kennt kaum freie Tage. „Mir geht es eher schlechter, wenn ich nicht arbeite. Dann falle ich in große Löcher und sauf nur rum.“ Dann kann es schon mal passieren, dass er besoffen in einer Schwulenbar die Kellertreppe hinabstürzt und wochenlang ins Krankenhaus muss. Aber, sagt er: „Lieber so etwas, als totale Spießigkeit auszustrahlen.“

Bis 30. 12., Di.–Sa. 20.30 Uhr, So. um 19.30 Uhr. Tipi am Kanzleramt, Große Querallee, Tiergarten