Tücken & Lücken (8)
: Die Realität schlägt zu

Womit wir rechnen müssen. Worauf wir bestehen können. Immer mittwochs erklärt uns die Solidarische Hilfe e.V. die Tücken und Lücken von Hartz IV

Mit den ersten Arbeitslosengeld II-Bescheiden trat insbesondere bei bisherigen BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe erste Ernüchterung ein.

Während dem Teil der Berechnung der Kostenverteilung zwischen Bund und Kommune mehr als eine halbe Seite gewidmet wird, erscheint bei den Kosten der Unterkunft (Miete und Heizkosten) lediglich eine Zahl, deren Zusammensetzung Geheimnis der Bundesagentur bleibt. Grundmiete, Wasserkosten und Heizung müssen hierin enthalten sein. Stimmt der Endbetrag nicht mit der eigenen Kostenaufstellung überein, kann man nur rätseln.

Ebenso verhält es sich mit den Nebeneinkommen. Auch hier sucht die LeserIn vergeblich nach den Fahrtkosten, dem Freibetrag oder anderen Absetzbeträgen. Ein Sozialhilfebescheid war dagegen ein offenes Buch.

Hier rächten sich auch die unzulänglichen Fragebögen. Bestimmte Daten wurden schlicht nicht erhoben, andere – datenschutzrechtlich bedenklich – dafür eingefordert.

Mehr noch dürfte sich der unzureichende Kenntnisstand mancher EDV-Eingabekraft als Fehlerquelle entpuppen. Wenn Eltern von Studierenden das Kindergeld an diese weiterleiten, wird es oftmals unzulässig bei den Eltern als Einkommen angerechnet – völlig im Gegensatz zu den gültigen Durchführungshinweisen.

Als Fazit bleibt festzustellen: Die Undurchschaubarkeit der ALG II Bescheide macht die LeistungsempfängerInnen zu hilflosen AlmosenempfängerInnen. Selbst Juristen ist es nicht möglich, eine Summe, hinter der sich drei Unbekannte verstecken, zu entschlüsseln und zu verstehen. Schon die Durchführungsanordnungen sind ein Geheimnis. Sie sind nicht frei erhältlich, keine Bibliothek wird sie je ausleihbar machen.

Damit wird jedem Anspruch auf mündige BürgerInnen ein deftiger Dämpfer verpasst. Stillhalten und glauben, was von oben kommt, scheint das Prinzip der ALG II Mitteilungen zu sein.

Bundesweit schätzen sachkundige, unabhängige Beratungsstellen die Fehlerquote auf mehr als zwei Drittel der bisher nachgerechneten Bescheide.

Dies scheint politisch gewollt oder zumindest toleriert zu sein. Denn wer mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe mehr als zwei Millionen Menschen unter die Armutsschwelle schießt und somit von der materiellen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weitgehend ausschließt, wird nicht darauf Wert legen, dass die so Degradierten ihren Absturz nachrechnen und eventuell widersprechen können.

P.S.: Das Niveau des ALG II liegt je nach Personenzahl der Gemeinschaft bei etwa 30 bis 33 Prozent des Durchschnittseinkommens und damit weit unter der offiziellen Armutsgrenze der EU. Die definiert als „arm“, wer über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügt.