Wider den Zwang

Psychiatrie-Erfahrene demonstrieren heute gegen die geplante Änderung des Psychiatriegesetzes. Das soll selbst die Zwangsmedikation erlauben

bremen taz ■ Gegen geplante Veränderungen im bremischen Psychiatriegesetz machen jetzt die organisierten Psychiatrie-Erfahrenen mobil. Am Mittwoch wollen sie vor dem Haus des Justizsenators demonstrieren. Ihr Protest richtet sich vor allem gegen die geplante Zwangsmedikation, die psychisch Kranken nach einem vorliegenden Gesetzentwurf in Krisensituationen ambulant verabreicht werden kann. Mit ihrem Protest stehen die Psychiatrie-Erfahrenen in Bremen bislang weitgehend allein.

Ihnen gegenüber steht eine ganz große Koalition von PolitikerInnen, die nach den Debatten über die zwei von psychisch Kranken verübten Tötungen im Jahr 2003 alarmiert sind – und nun Zwangsmedikation erwägen. Zu ihnen gehört bislang auch der grüne Innenpolitiker Matthias Güldner. „Wenn man ambulant Gefahren abwenden kann, ohne dass die Person in die Psychiatrie zwangseingewiesen wird, ist das vorteilhaft“, sagt er. In einem Änderungsentwurf für das Gesetz (PsychKG), den die beteiligten Fachleute am 15. Dezember erörtern wollen, heißt es: „Die Auflage einer ambulanten Behandlung ist zulässig, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass hierdurch der Zweck der Unterbringung ohne die Zurückhaltung der psychisch kranken Person in einem psychiatrischen Krankenhaus (…) erreicht werden kann.“ Dahinter steckt der Gedanke, dass auch bei einer Zwangseinweisung natürlich Medikamente gegen den Willen des Kranken verabreicht werden – dem unter Umständen krankheitsbedingt die Einsicht fehlt. Güldner sagt: „Es leuchtet mir nicht ein, dass das Vermeiden der Zwangseinweisung schlecht sein soll.“ Voraussetzung sei doch in jedem Fall, dass von der Person Gefahr ausgehe – für das eigene Leben oder Unversehrtheit und Leben Dritter. Damit positionieren die Bremer Grünen sich abweichend vom grünen Bundestrend, in dem die Gabe von Depotmedikamenten – denn dass jeden Tag die Medikamenteneinnahme des Kranken überwacht wird, ist nicht angedacht – kritisch gesehen wird.

Zu den Befürwortern der Reform gehört unterdessen auch der Chef des Bremer Gesundheitsamtes, Gottfried Zenker. Ein Richter müsse die Zwangsmaßnahme doch anordnen – und ebenso die Auflagen für eine überprüfbare Nachbehandlung. Der Chef des Bremer Gesundheitsamtes und der grüne Abgeordnete halten eine Gesetzesänderung für erforderlich – auch wenn andernorts argumentiert werde, dass das Bürgerliche Gesetzbuch ausreichende Grundlage für Zwangsmaßnahmen biete. „Das ist ein kontroverses Thema“, räumt Zenker ein. Eine Verschlechterung für die Kranken könne er jedoch nicht erkennen.

Das sehen die Psychiatrie-Erfahrenen anders. „Wir müssen unsern Arsch ja hinhalten“, sagt der Delmenhorster Roland Kaesler. Es bestehe die Befürchtung, dass Zwangsmaßnahmen erleichtert würden und schwerer zu kontrollieren seien – unter Umständen, ohne dass es eine konkrete Gefahrenlage gebe. Tatsächlich soll Paragraf 9 des Bremer PsychKG nach der ersten Sitzung einer Fachrunde vom September nun erweitert werden. Er definiert die vorausschauende Gefahrenabwehr. Danach besteht eine gegenwärtige Gefahr bereits dann, „wenn infolge der psychischen Erkrankung ein schadenstiftendes Ereignis wegen besonderer Umstände jederzeit zu erwarten ist.“ „Damit wäre Bremen Vorreiter“, sagt Kaesler. Deswegen erwartet er am Mittwoch auch Demonstranten aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. ede

Kundgebung heute um 14 Uhr, Richtweg 16