Kein Song für Lupo

Es dräuen die Klangkollagen, doch das Großartige bleibt aus: Die kanadische Band „Broken Social Scene“ bricht in der Maria am Ostufer ein. Zu ihrem Album jedoch kann man nachts wunderbar dreimal um den Berliner Ring fahren

Der Tipp kam natürlich vom „Intro“-lesenden Bruder aus Hamburg, der sogar extra fürs Konzert anreiste. Neue Band aus Kanada, aus dem Umfeld von „Godspeed You! Black Emperor“, die schöne Leslie Feist hat auch schon mal mitgesungen. Sphärisch-poppige Soundscapes oder: „Postrock“, der dann irgendwann auch bei Charlotte Roche lief, mit gewohnt versponnener, aber hier passender Anmoderation. „Broken Social Scene“ seien ein bis zu zehnköpfiges Bandkollektiv von Politaktivisten, die in Kanada bereits zahlreiche H&M-Filialen und Starbucks-Läden verwüstet haben sollen. Im Video trugen die Musiker aus Gründen der Anonymität Gasmasken oder braune Papiertüten überm Kopf – keine Angst, ihre Namen sollen denn auch hier nicht verraten werden.

Am Montagabend hat der Bruder dummerweise noch eine Karte über. Lupo springt ein und kommt mit in die Maria. Lupo hat von Broken Social Scene noch nie was gehört, ist aber froh, einfach mal wieder rauszukommen, aufgrund aktueller Beziehungsprobleme. Dummerweise gibt es noch zwei Vorgruppen, also viel Zeit zum Reden für Lupo. Zwei Männer zupfen unterdessen auf der Bühne ihre Akustikballaden, „The Wedding Present“ singen Ernstgereimtes im Stil von „Never let you out of sight/ Always hold you tight“. Damit kann man Lupos zynisches Herz natürlich nicht mehr erreichen, „es helfen nur noch Schläge“.

Umbaupause. Wo bleiben eigentlich Broken Social Scene? Gegen elf entern acht Gestalten, die man vorher für Roadies beim Instrumentestimmen gehalten hat – was für ein Blödsinn, die Band ist natürlich viel zu p.c., um sich so was wie Roadies zu leisten – die Bühne und entpuppen sich als der Hauptact. Wenigstens haben sie keine braunen Papiertüten überm Kopf. Einer geht an den Synthesizer, vier (!) greifen sich gleich mal Trompeten und lassen einen dichten Klangteppich über die Bühne wabern, der dann von vier (!) Gitarren ornamentiert, von zwei (!) Bassisten strukturiert und dann von zum Glück nur einem Drummer mal mehr, mal weniger kräftig durchgeklopft wird. „Fetter Sound, aber ist das Teil auch angemeldet?“, meint Lupo nur müde.

Dafür ist es auf der Bühne bald voller als im Publikum. Jetzt kommen noch eine Sängerin dazu und einer am Tamburin. Die Instrumente werden munter gewechselt, die Mikros basisdemokratisch rumgereicht. Schade nur, dass es beim schönsten Song, „Stars and Sons“, ausgerechnet den bekifften Bassisten erwischt, der keinen Ton rausbringt. Lupo verlässt das Gebäude, aber die Broken Social Scene machen weiter. Immer wieder dräuen Klangcollagen druckvoll herauf, als müsse gleich etwas Großartiges passieren, zum Beispiel ein Song.

Aber dann wird nur der Ton gehalten und nichts bricht sich, alles plätschert aus, ein einziger Soundbrei, der bald beginnt, in den Ohren zu fiepen. Der Frontmann vernuschelt das ohnehin spärliche Refraingut, die Sängerin hebt kämpferisch hüpfend die Faust und säuselt vierzigmal hintereinander „Be courageous!“ ins Publikum. Be courageous, ja wobei denn bloß? Beim Rumstehen vor der Bühne? Beim Zigarette-ausgehen-Lassen? Beim Nachdenken über Songtitel wie „Cause = Time“? Kinder, so wird das nichts mehr mit der Revolution.

Um nicht in Missverständnissen zu enden: Broken Social Scene sind eine großartig langweilige Band. Langweilig im schönen Sinne. Jeder sollte sich bitte ihr Album „You Forgot It In People“ umgehend zulegen: Musik, zu der man nachts wunderbar dreimal um den Berliner Ring fahren kann oder zu der sich ein Text wie dieser hochkonzentriert in sechzig Minuten runterschreiben lässt. Aber live war das nichts. Broken Social Scene, ihr vergaßt es auf der Bühne. Und der Bruder fuhr enttäuscht nach Hamburg zurück.

ANDREAS MERKEL