Sinnsprüche à la Mongolie

Bilder aus der Mongolei: Wie seit 2.500 Jahren ziehen zwei Ochsen den gesamten Hausstand auf zwei Karren durch die Steppe. Doch eine Reise in die Mongolei führt nicht nur in die Vergangenheit des Gastlandes

Herr Bhum, der in Karl-Marx-Stadt studierte, führte uns von Ulan-Bator in die Steppe

VON NILS SCHIFFHAUER

Man muss sich Dschingis Khan auch als liberalen Herrscher vorstellen, meint Professor Hüttel. Wir sitzen im Hotel Bayangol, dem ersten Haus in Karakorum, das aussieht wie eine Jugendherberge in Mecklenburg vor 1989. Professor Hans-Georg Hüttel gräbt mit seinem Team die alte Hauptstadt aus, die Dschingis Khan gründete, aber wohl niemals betrat. Heute bedecken Drahtquadrate die Steppe. In feinsten Schichten wird die Erde mit Spachtel und Pinsel abgehoben. Direkt unter der Oberfläche die ersten Fundstücke aus gebranntem Ton. Beschwörende Fratzen. In wenigen Worten lässt der Archäologe das 1220 gegründete Karakorum über der karierten Wirtshausdecke entstehen: Wir hören den Brunnen plätschern, den der Pariser Guillaume Bouchier aus Silber in Form eines Baumes anlegte, aus dessen Speiern in Form von Löwen- und Schlangenmäulern Stutenmilch, Wein, Reiswein und Met gleichzeitig flossen. Zwölf Religionen fanden Platz innerhalb einer Fläche, die ein Erdwall auf etwa 3,5 Quadratkilometern begrenzt. Dort waren keine Zwangsarbeiter im üblichen Sinne tätig, ist sich Professor Hüttel sicher. Er entwirft das Bild einer toleranten Herrschaft. Die nur wenige Jahrzehnte währende Hoch-Zeit eines Nomadenvolkes, heute hinabgesunken zu einem vergessenen Staat.

Neben den Ruinen liegt Erdene Zuu („Hundert Schätze“), das erste buddhistische Kloster der Mongolei. Eine Baugeschichte wie die des Kölner Doms, begonnen 1586, abgeschlossen erst gut 300 Jahre später. Zwischendurch zerstört von den Mandschus, zögerlich wiederaufgebaut, zuletzt 1806 durch den berühmten Architekten Mandschir, und schließlich bis auf drei Tempel zerstört durch den Eishauch des Stalinismus Ende der 1930er-Jahre. 1965 als Museum wiedereröffnet, 1990 als Kloster reaktiviert. 108 Stupas säumen die mächtige Einfriedungsmauer. Die drei Tempel verkörpern Kindheit, Adoleszenz und Reife Buddhas; orgiastisch-tantrische Darstellungen, die unter das Pornografieverbot fallen würden, interpretieren wir als Probe auf den Zölibat der Mönche.

Herr Bhum, der in Karl-Marx-Stadt studierte, führte uns von Ulan-Bator aus vier Tage durch den Westen seiner Heimat. Er ist Grüner und für die Außenbeziehungen seiner Partei zuständig. 400 Dollar kostet die Tour pro Person. Bindet die Hunde an!, ruft Bhum. In Mogoitijin Arschaan nähern wir uns einer großen Hütte aus Holzbrettern, dem Sommersitz einer Nomadenfamilie, gebaut in die Einsamkeit zwischen unendlicher Weide und einem Bergabhang. Kinder führen uns in die Stube. Bei den Kleinsten ersetzt ein Schnitt im Hosenschritt die Windel. Links liegt auf einer Pritsche nackt unter der Felldecke die Urgroßmutter. Sie zählt 92 Jahre, flüstert Bhum, eine der ältesten Mongolen. Zahnlos, wach-interessierter Blick. Sie richtet sich halb auf, nimmt einen Urenkel auf den Schoß und singt, Mutter aller Mütter und aller Zeiten.

Die Hütte füllt sich, vier Generationen unter einem Dach. Blickt man sich großzügig genug um, so sieht es in deutschen Bauernstuben kaum anders aus. Da der Altar mit Heiligenbildern, statt des Mannes am Kreuz Buddha im Lotossitz. Dort der Privataltar, die ältesten Fotos aus den 30ern des vergangenen Jahrhunderts. An den Wänden mit Sinnsprüchen bestickte Fahnen. Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her; à la Mongolie.

Einsteigen, weiterfahren, aussteigen. Weiterwandern. Zu unseren Füßen mehr Edelweiß als Gänseblümchen auf deutschem Terrain. Lavendel und Thymian. Ihre Blätter geben einen besonders konzentrierten Duft ab. Eine fette Heuschrecke hockt faul im Gras, zu träge zum Zirpen. In China werden die Insekten, knabberfertig geröstet, in Tüten abgefüllt.

Das sieht man nicht alle Tage! Bhum stößt uns an, als er den Jeep über eine Kuppe lenkt. Vor uns im Staub der Piste ein Nomadenumzug. Wie seit 2.500 Jahren ziehen zwei Ochsen den gesamten Hausstand auf zwei Karren. Die primitiven Strebenräder aus Holz schützt ein Reifen aus Metall. Dazwischengetriebene Holzkeile nähern ihn der runden Form an.

Da lag die geschlagene Armee von Liegnitz. Bhum weist auf die Ebene bei Karakorum. Die Nachfahren der siegreichen Reiterkrieger treffen sich zum Naadam. Vorderhand geht es dort um Ringen und Pferderennen, aber eigentlich ist es ein gesellschaftliches Ereignis, Nachrichtenbörse und Heiratsmarkt, vergleichbar mit unseren dörflichen Schützenfesten. Die Pferde wirbeln so viel Sand und Staub auf, dass die Sonne in sichtbaren Strahlen auf die Steppe fällt. Hinter uns entsteht eine lärmende Budenstadt. Bunte Limonade wird von überladenen Lastwagen herab verkauft. Tand und Schmuck spiegeln die Sonne, riesenhafte Kegel aus Fleischlappen nach Dönerart werden geschichtet. Gut 200 Ziegen grasen in der Umzäunung. Bald wird sie der Koch auf den Rücken werfen, eine Öffnung in ihren Bauch schneiden, mit dem Arm in den warm zuckenden Leib greifen, die Lebensader suchen und abdrücken, bis ihre Augen endgültig brechen.

Die Ruinen von Khar Balgas erheben sich aus der Steppe. Im siebten Jahrhundert nach Christus regierten hier türkische Khane das Land. Ein Nomade hält Wacht, Bussarde sind in der Luft. Den Kopf seines toten Lieblingspferds hat er in eine Nische gelegt, weiß blickt uns der skelettierte Schädel aus der Höhle an. Am Straßenrand halten Kinder einen rotbraunen Torso hoch. Murmeltiere, deren ausgeweidetes Innere mit heißen Steinen gefüllt und die dann in einer Milchkanne über dem Feuer gebacken wurden. Als wir nach langem Zögern den Mut für einen Imbiss gefasst haben, steht niemand mehr am Straßenrand.

www.exploremongolia.de und www.owc.org.mn/ecobund/ german.htm