Ankaras neuer Tiefenstratege

Die Entscheidung überraschte nicht. Als der türkische Premier Tayyip Erdogan am Freitag eine Kabinettsumbildung bekannt gab, hatten die Medien bereits mit Ahmet Davutoglu als neuem Außenminister gerechnet.

Mit dem 50-jährigen Professor für Politik und Wirtschaft hat die Türkei einen Außenminister, der in den letzten Jahren eine neue Außenpolitik konzipiert und auch durchgesetzt hat. Der klassischen Neutralitätspolitik und ausschließlichen Westorientierung folgt jetzt die „multidimensionale“ Politik.

Davutoglus Aufstieg vollzog sich parallel zum Niedergang des Verhältnisses zur EU. Solange der jetzige Staatschef Abdullah Gül Außenminister war, hatte die Türkei ganz auf eine Annäherung an die EU gesetzt. Doch je länger Berlin und Paris deutlich machten, dass sie die Türkei nicht in der EU wollen, desto populärer wurde Davutoglu mit seinem Konzept, die Türkei erst einmal wieder zu einer stärkeren Macht in der Region zu machen. Das ist für Davutoglu, der mit seinem Buch „Strategische Tiefe“ schon als Professor die Richtung vorgab, nur mit einem stärkeren Engagement und einer eigenständigen Politik im Nahen Osten, im Kaukasus und auf dem Balkan zu erreichen.

Davutoglu war der erste hochrangige Politiker aus einem Nato-Staat, der die Quarantäne, die der Westen über der Hamas verhängte, durchbrach. Er wurde von Erdogan nach Syrien, Iran und Irak geschickt. Das war zunächst erfolgreich, doch wird auch gefragt, ob die Türkei nicht dabei sei, sich ganz vom Westen zu verabschieden. So weit muss man nicht gehen, um Davutoglus Konzept zu beschreiben. Doch der Mann aus dem zentralanatolischen Konya hat einen Traum. Er will die Türkische Republik dort, wo das Osmanische Reich herrschte, wieder zu einer einflussreichen Macht machen. JÜRGEN GOTTSCHLICH