Wissenschaftler fordert Gemeinschaftsschule

Der Dortmunder Schulwissenschaftler Ernst Rösner stimmt die grüne Landtagsfraktion auf den nordrhein-westfälischen Wahlkampf ein. Statt einem Schulsystem der Selektion fordern die Grünen die „Schule für alle“

DÜSSELDORF taz/dpa ■ Das dreigliedrige deutsche Schulsystem ist aus Sicht des Dortmunder Schulwissenschaftlers Ernst Rösner ein Abstiegsmodell. „Die Durchlässigkeit des Bildungssystems ist reine Schönfärberei“, sagte Rösner gestern vor einem Fachkongress der Grünen-Landtagsfraktion zum Thema Gemeinschaftsschule in Düsseldorf. Tatsächlich kämen in NRW auf sechs Schüler, die den Aufstieg zu einer höheren Schulform schafften, 94 Absteiger. Die Grünen wollen im Landtagswahlkampf für den Umstieg auf eine „Schule für alle“ werben.

Rösner stellte in Düsseldorf ein Modell für eine Gemeinschaftsschule vor, das er als Gutachter für die schleswig-holsteinische Landesregierung erarbeitet hat. Der Wissenschaftler des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund empfiehlt eine Differenzierung nach Bildungsgängen frühestens in der Jahrgangsstufe sieben. Denkbar wäre eine Schule, die es Schülern unter einem Dach ermögliche, ihren Begabungen entsprechend am Deutschunterricht eines Gymnasiallehrers und am Mathematikunterricht eines Realschullehrers teilzunehmen. Dies könne auch auf den Zeugnissen so dokumentiert werden und auf dem Arbeitsmarkt von Vorteil sein.

Die moderne Schulforschung habe mehrfach aufgezeigt, dass die 1920 eingeführte Verteilung Zehnjähriger auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium schlecht funktioniere, so Rösner. „Irgendwann sollten aus den übereinstimmenden Befunden zur Unmöglichkeit einer vernünftigen Schülerauslese auch Konsequenzen gezogen werden.“ Alle bei PISA erfolgreichen Länder nutzten die positiven Effekte gemeinsamen Lernens in leistungsgemischten Gruppen.

Rösner lobte den Entschluss von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) als „mutigen Schritt“, nach den Landtagswahlen 2005 als erstes Bundesland moderne Schulstrukturen aufzubauen. Obwohl die Sozialdemokraten in NRW „noch Klärungsbedarf“ in dieser Frage hätten, würden die Stimmen für eine Gemeinschaftsschule auch beim großen Koalitionspartner lauter, meinte Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann. „Wir können es uns nicht leisten, permanent rund 20 Prozent Schulversager zu produzieren.“

Auch von Lehrergewerkschaften gab es für die Pläne der Grünen gestern Unterstützung. Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in NRW, sagte gestern, dass das deutsche Schulsystem soziale Ungleichheit verfestige. „Die Ursache dafür liegt in der Zergliederung unseres Schulsystems und dem Irrglauben, die Homogenisierung von Lerngruppen führe zu einem leistungsgerechten Schulsystem“, sagte Beckmann.