ORTSTERMIN: EIN BERUFSSTAND STELLT SICH VOR
: So steppt der Steuerbärater

Der Empfang zum Steuerberaterkongress besitzt den Charme einer Sitzung des Zentralkomitees der Volksrepublik China.

Der Himmel ist trüb über dem Hamburger Bahnhof Dammtor als das merkwürdige Schauspiel beginnt. Es ist 8 : 15. Um 8 : 30 wird es schon wieder vorbei sein. Wie aus dem Nichts tauchen plötzlich unzählige Herren mit schwarzen Aktenkoffern auf und mischen sich unter die Zivilisten. Als Individuen wirken sie unscheinbar, aber in der Masse wirken sie geradezu bedrohlich. Man fühlt sich an die Zeitdiebe aus Michael Endes Roman „Momo“ erinnert. Bald sind es Hunderte. In Farbe und Trägheit der Elbe gleich fließt der Menschenstrom aus dem Bahnhof und verschwindet im nahe gelegenen Kongresszentrum.

Der Empfang zum diesjährigen Deutschen Steuerberaterkongress im großen Saal des Kongresszentrums besitzt den Charme einer Sitzung des Zentralkomitees der Volksrepublik China. Das Drehbuch scheint festgeschrieben und allseits bekannt: der Präsident spricht einige Sätze, es wird geklatscht, der Präsident spricht wieder, es wird wieder geklatscht. Ein Drittel der Anwesenden sind Funktionäre der Bundessteuerberaterkammer, des Berufsverbands der Steuerberater. Bei den anderen Herren – und es sind überwiegend Herren heute da – handeltet es sich um Verbandsmitglieder nebst einigen Finanzbeamten und Wirtschaftswissenschaftlern.

Besonderen Applaus erntet Präsident Horst Vinken für Sätze wie: „Niedrige Steuersätze helfen dem Standort Deutschland und unterstützen unsere Unternehmen.“ Oder: „Dass das Verfassungsgericht unserer Einbringung weitestgehend gefolgt ist und den Wegfall der Pendlerpauschale für verfassungswidrig erklärt hat, überraschte uns nicht.“

Die Bundessteuerberaterkammer versteht sich nicht nur als Vertretung ihrer Mitglieder, sondern auch der Kunden ihrer Mitglieder – der Steuerzahler –, was sie zu einer wichtigen Lobby für Steuersenkungen macht. „Oft wirken wir auch im Stillen an den Entscheidungsfindungen mit“, sagt Vinken. Und später: „Wir sind die Vertreter unserer Klienten und gleichzeitig Berater der Politik.“

In den Pausen zwischen den Sitzungen drückt sich die Steuerberater-Masse in die Foyers des Kongresszentrums, zu den zahlreichen Messeständen. Hier gibt es alles, was der Steuerberater an solchen Tagen braucht: eine siebenminütige Nackenmassage, frisch gepresste Säfte und einen lebensgroßen Teddybär zum Knuddeln (den „Steuerbärater“).

Eine Gruppe junger Nachwuchssteuerberater aus Süddeutschland hebt sich durch extravagantes Outfit von der Masse ab. Statt Krawatten tragen sie Seidentücher, dazu schlichte blau-grüne bayrische Janker und gegelte Haare. Nachdem sie sich der Reihe nach neben dem Steuerbärater-Bär fotografiert haben lassen, nehmen sie an einem der Stehtische Platz und erklären, was ihnen an ihrem Berufsverband alles nicht gefällt: Störend sei das politische Engagement der Kammer, erklärt einer von ihnen. „Die Funktionäre scheinen manchmal zu vergessen, wen sie eigentlich vertreten.“ Aber das Schlimmste sei dieses ständige Hetzen gegen die Bürokratie im deutschen Steuerrecht, erklärt ein zweiter. Allgemeine Zustimmung macht sich breit. „Seien wir doch mal ehrlich“, sagt er. „Wenn man die Steuererklärung tatsächlich auf einem Bierdeckel machen könnte, wären wir doch alle arbeitslos.“JOHANN TISCHEWSKI