Schleswig-Holsteins next Top-Dorf

CASTING Der neue Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Jörn Biel, hat einen innovativen Wettbewerb zwischen den touristischen Hochburgen im Norden gestartet. Die taz nord hat schon mal die Chancen gecheckt

VON ESTHER GEISSLINGER

Offiziell trägt das Casting den prosaischen Namen „Ideenwettbewerb unter den größten Tourismus-Orten in Schleswig-Holstein“. Mitmachen dürfen 22 Gemeinden, die bisher noch nichts von ihrem Glück wissen – sie kriegen in den nächsten Tagen Post vom Wirtschaftsministerium. Bis September sollen die Bürgermeister von Orten wie Büsum, Grömitz, Scharbeutz oder Dahme ihre „Visionen“ einreichen. Vorgecastet hat die Statistik: In die Endrunde kam nur, wer mehr als 200.000 Übernachtungen – und zwar „nicht von Einheimischen“ – vorweisen kann.

Der Wettbewerb

„Welche Tourismus-Perle im Land hat bald das schönste und stimmigste Gesicht?“, dichtete das Ministerium im Aufruf zum Wettbewerb. Genau vorgeschrieben sind die Kategorien nicht, in denen die Gemeinden gegeneinander antreten sollen. Aber weit gefasst, eben „visionär“, dürfen die Entwürfe gern sein. Die Projekte sollen innerhalb von 15 Jahren verwirklicht werden können. „Die Orte sollen sich überlegen, wo sie hinwollen“, lautet die ministerielle Dienstanweisung. Dies ist besonders für die Insel- und Küstengemeinden eine echte Zukunftsfrage, die heute noch an der Abbruchkante sind und morgen vielleicht schon darüber hinaus. Zur Unterstützung der Gemeinden schlägt die taz nord ein paar Kategorien vor, in denen Schleswig-Holsteins Tourismus-Metropolen gegeneinander antreten könnten:

■ Make-up: Löcher in den Zufahrtsstraßen könnten zusammen mit den Defiziten der in Landesbesitz befindlichen HSH-Nordbank in eine „Bad Bank“ ausgelagert werden.

■ Kreativität: Besonders im Umgang mit der Reisekasse der Gäste gefragt, Stichworte sind Kurtaxe, Strandabgabe und Bäderaufschlag.

■ Gigantismus: Es gibt nicht in jedem Dorf in Schleswig-Holstein ein Spaßbad. Wobei der Wirtschaftsminister warnt: „Die Dinger sind defizitär.“ Hm, dann doch ein neues Freilichtmuseum? Ziel aller Bemühungen ist wie immer, die Übernachtungszahlen von Mecklenburg-Vorpommern zu schlagen.

Die Jury

Staatssekretärin Karin Wiedemann (CDU) passt perfekt in die Rolle der Heidi Klum als Juryleiterin. „Externer Sachverstand“ kommt vom Tourismusverband und von der IHK. Bruce Darnell, Ex-Assistent von Heidi Klum in „Germanys next Topmodel“, hat leider abgewunken: Schleswig-Holstein sei ihm persönlich „zu weit im Norden“.

Die Preise

Schleswig-Holsteins next Top-Dorf erhält – ein Gutachten! 90 Prozent der Kosten will das Land übernehmen, für die Gewinner des zweiten und dritten Platzes soll es 80 und 70 Prozent Zuschuss geben. Insgesamt will das Ministerium für den Wettbewerb rund 250.000 Euro ausgeben.

Die Favoriten

■ St. Peter-Ording: Strand, Strand, Strand – absolut familientauglich und dank Events wie Surfen, Beachvolleyball und Strandsegeln sogar irgendwie cool. „Sankt Peter’“, wie die Einheimischen liebevoll sagen, steht nicht ohne Grund seit Jahren auf einem Top-Platz im Küstentourismus. Nachteil: Gut möglich, dass die St. Peter-Ordinger den Wettbewerb schlicht ignorieren – was sollen die mit einem Gutachten?

■ Lübeck: Die Hansestadt wirbt mit Holstentor, Marzipan und Thomas Mann und zieht so rund ums Jahr Gäste an. Neben Kiel ist Lübeck die zweite Großstadt im Ranking – Kunststück, wesentlich mehr Städte hat Schleswig-Holstein auch nicht zu bieten. Die Landeshauptstadt, die sich vor allem durch Frachtschiffe und soziale Brennpunkte auszeichnet, sollte zu schlagen sein. Nachteil: Lübeck ist praktisch pleite und hat kein Geld für Tourismusprojekte. Von Visionen war in den vergangenen Jahren nichts zu spüren. Wo sollen die nun auf einmal herkommen?

■ Westerland: „Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen“, dichteten schon die Ärzte. Westerland ist Kult, die Promidichte sogar in Krisenzeiten hoch. Strand und so weiter gibt’s auch. Nachteil: Unter 22 Top-Dörfern befinden sich sieben Inselgemeinden plus die ganze Insel Fehmarn – das wird ein knallharter Wettbewerb, denn auch Rantum (Sylt), Norddorf (Amrum) oder Wyk auf Föhr sind nicht ohne.

■ Geheimfavorit Bad Segeberg: Bei so viel Küstenpower müsste sich die Jury eigentlich gezwungen fühlen, einen der Inlands-Orte zumindest auf Platz drei zu hieven. Segeberg hat ein großes Möbelhaus, das nicht IKEA ist, und einen Kalkberg mit Fledermäusen drin und Indianern draußen. Sollte reichen. Nachteil: Wahrscheinlich wird’s doch Bad Malente.