Die IRA will nicht gedemütigt werden

Die Verhandlungen über eine Wiedereinsetzung der nordirischen Allparteienregierung und des Parlaments sind am Widerstand der probritischen Unionisten unter ihrem Chef Ian Paisley vorerst gescheitert. Tony Blair hofft weiter

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Die „historische Einigung“ in Nordirland ist nur um Haaresbreite verpasst worden. Das sagten der britische Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern gestern Nachmittag auf einer Pressekonferenz in Belfast. Die beiden Regierungen hatten den nordirischen Parteien im vorigen Monat einen Plan vorgelegt, der die Grundlage für die Wiedereinsetzung der nordirischen Regierung und des Regionalparlaments bilden sollte.

Die Institutionen sind vor zwei Jahren aufgelöst worden, weil die Unionisten dem Waffenstillstand der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) misstrauten, der seit immerhin zehn Jahren besteht. Inzwischen hat die IRA ihrer vollständigen Entwaffnung zugestimmt. Die Einigung scheiterte diesmal an einem Foto.

Der protestantische Pfarrer Ian Paisley, Chef der größten nordirischen Partei, der Democratic Unionist Party (DUP), wollte die Waffenabgabe der IRA fotografieren lassen und die Bilder in den Zeitungen abdrucken. „Wer öffentlich sündigt, muss auch öffentlich bereuen“, sagte der 78 Jahre alte Mann mit biblischen Worten.

Die IRA, die sich letzte Woche mit der Internationalen Abrüstungskommission des kanadischen Generals John de Chastelain getroffen hatte, lehnte das ab. Sie stimmte jedoch zu, die Abrüstung von einem katholischen und einem protestantischen Geistlichen überwachen zu lassen. Das reichte Paisley nicht. „Ian Paisley muss kapieren, dass sich die IRA keinem Prozess der Demütigung unterwerfen wird“, sagte Sinn-Féin-Chef Gerry Adams vom politischen Flügel der IRA. „Ich erwarte das ja auch nicht von Paisley oder irgendeiner loyalistischen paramilitärischen Organisation.“

Dass es dem Pfarrer vor allem um die Demütigung der IRA geht, hatte er im November in einer Rede vor seiner Partei unverblümt gesagt, was nicht nur bei Sinn Féin, sondern auch bei den Regierungen in London und Dublin scharfe Kritik hervorrief. Ein Foto kann ohnehin nicht beweisen, dass die IRA sämtliche Waffen ausgemustert hat. Im Übrigen ist es keineswegs im Interesse aller Beteiligten, die IRA komplett zu entwaffnen. Schließlich gibt es in ihren Reihen genug Dissidenten, die sie in Schach halten muss.

Blair und Ahern sahen gestern davon ab, ihren „Plan B“ vorzulegen, den sie im Falle des Scheiterns der Verhandlungen bereithielten. Dazu habe man zu viele Fortschritte gemacht, hieß es. Zwar verweigert Paisley nach wie vor direkten Kontakt mit Sinn Féin, aber im Prinzip herrscht Einigkeit über die IRA-Abrüstung, über die Reform der fast ausschließlich protestantischen Polizei, über die Reduzierung der britischen Truppenstärke und über den Abbau der 55 Kasernen in Nordirland.

Der wichtigste Fortschritt ist die grundsätzliche Bereitschaft der DUP, eine Mehrparteienregierung mit Sinn-Féin-Beteiligung zu bilden. Das war noch vor wenigen Monaten unvorstellbar. So will Blair nach einer kurzen Atempause im Januar versuchen, die letzte Hürde im Friedensprozess zu überwinden.