Der Pakt mit den Dieben

Der Weg zu fairen Wahlen ist frei – aber der Preis dafür ist hoch. Die Opposition wurde nach Wochen der Einigkeit gespalten

AUS LWIW JURI DURKOT

Mit einer so schnellen Einigung in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, hatte gestern in Kiew niemand gerechnet. Nach dem erzielten Kompromiss zeigten sich alle, das Regierungslager und die Opposition und Wiktor Juschtschenko, zufrieden. Das Juschtschenko-Lager freut sich darüber, dass die Veränderungen im Wahlgesetz die Fälschungen wesentlich erschwert haben. Auch von der neu gewählten Zentralen Wahlkommission erwartet man faire Arbeit und Objektivität. Das sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine demokratische Wiederholung der Stichwahl am 26. Dezember. Der Kompromiss ist ein Sieg für Juschtschenko, doch der Preis für diesen Sieg ist hoch.

Die im „Doppelpack“ verabschiedete Verfassungsreform, die eine deutliche Einschränkung der Machtfülle des ukrainischen Präsidenten vorsieht und am 1. September 2005 in Kraft treten soll, wird den neu gewählten Präsidenten schwächen. Ein Kompromiss also. Die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko bezeichnete ihn gestern als einen Sieg für den scheidenden Präsidenten Kutschma. Timoschenko, deren Fraktion dem Kompromiss nicht zugestimmt hatte, kündigte eine Klage vor dem Verfassungsgericht an. „Ich bin überzeugt, dass diese Verfassungsänderung nicht legitim ist“, betonte sie gestern.

Auch wenn für diesen Kompromiss mit 410 Abgeordneten eine überwältigende Mehrheit in der Werchowna Rada votiert hat – für viele hat er einen faden Beigeschmack. Denn viele, die auf die Straßen gegangen waren, hatten nicht gerade diesen Kompromiss vor Augen, als sie mit hunderttausendfacher Stimme „Wir halten zusammen, man kann uns nicht besiegen“ anstimmten. „Mit den Dieben soll man nicht verhandeln“ – das war eher das Motto der Demonstranten.

Dass das Lager um Präsident Kutschma und Ministerpräsident Janukowitsch den Sieg von Wiktor Juschtschenko durch Wahlfälschungen und Manipulationen verhindert hat, kann spätestens nach dem Urteil des Obersten Gerichts als bewiesen gelten. Am besten hat den Kuhhandel zwischen dem Präsidenten und der Opposition die russische Zeitung Kommersant beschrieben: „Stellen Sie sich vor, man klaut Ihnen die Brieftasche. Sie rufen die Polizei, die Polizei erwischt den Dieb auf frischer Tat, gibt Ihnen die Brieftasche aber nicht zurück und sperrt auch nicht den Dieb ein, sondern schlägt Ihnen vor, mit ihm Verhandlungen aufzunehmen.“

Die zwei Entscheidungen, die im „Doppelpack“ durch das Parlament gegangen sind, haben nicht nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Es ist nur das Resultat dessen, dass in der Ukraine keiner mehr Vertrauen hat – und zwar nicht nur zu den politischen Gegnern, sondern sogar zu den eigenen Bündnispartnern.

Das wichtigste Anliegen der Opposition war, Wahlfälschungen zu verhindern. Hat sie dies mit dem neuen Wahlgesetz erreicht? Nicht ganz, Manipulationen sind auch bei der Wiederholung der Stichwahl zu erwarten, allerdings nicht mehr in demselben Ausmaß wie am 21. November. Der entscheidende Umstand ist, dass es einen gesellschaftlichen Umbruch gegeben hat – in vielen Regionen gibt es keine Basis mehr für gravierende Fälschungen von Regierungsseite. Polizei und Beamte dürften nicht mehr bereit sein, sich für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren zu lassen.

Freie und demokratische Wahlen – das war die Forderung der Demonstranten auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, die zugleich verlangt hatten, die Strippenzieher der Manipulationen zur Verantwortung zu ziehen. Die sind aber mit einem blauen Auge davongekommen. Nicht mal die Regierung von Janukowitsch wurde abgesetzt, obwohl das Parlament dem Kabinett das Misstrauen ausgesprochen hatte.

Auch die Gouverneure in den östlichen Regionen, die für die Fälschungen verantwortlich waren, später dann separatistische Stimmungen geschürt haben, sind bislang in ihren Ämtern geblieben. Die Verabschiedung einer Verfassungsreform in einer solchen Situation kann zumindest nicht überzeugen.

Es mag stimmen, dass für die bessere Balance zwischen den Gewalten eine Stärkung des Parlaments notwendig war. Es ist auch richtig, das Wiktor Juschtschenko und seine Fraktion, in der auch viele Befürworter der Reform sitzen, diese Verfassungsänderungen dem neuen Bündnisparter, dem Sozialistenchef Olexandr Moros, zugestanden haben. Und auch beim runden Tisch am 1. Dezember unter Beteiligung der europäischen Vermittler hat Juschtschenko einer Doppelpacklösung zugestimmt. Nur: Diese Reform wird ein Parlament stärken, in dem heute die Kutschma-treuen Oligarchenfraktionen immer noch dominieren, wenn auch nicht mehr so deutlich wie zuvor.

Kein Wunder also, dass Präsident Kutschma die Reform in den vergangenen Monaten vorangetrieben hat. Allerdings wurde einiges entschärft, die Befugnisse des neuen Präsidenten bleiben umfassend genug, um das Land in eine Demokratie zu führen. Letztendlich kommt es nicht darauf an, wie die Konstellation im Parlament heute, sondern wie sie nach den Wahlen im Frühjahr 2006 ist.

Es wird wichtig sein, die Weichen bereits in den ersten Monaten zu stellen, auch wenn der neue Präsident gezwungen sein wird, weitere Kompromisse mit einem Teil der Oligarchen zu schließen. Vorausgesetzt, die ukrainischen Politiker wollen tatsächlich, dass der gesellschaftliche Aufbruch der Revolution in Orange Früchte trägt.