Milchmulti vor dem Ruin

Dem viertgrößten Lebensmittelkonzern Europas, Parmalat, fehlen 4 Milliarden Euro in der Bilanz

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Dem italienischen Lebensmittelunternehmen Parmalat droht das Aus. Ein Aus, das den Enron-Bilanzskandal in den Schatten stellen könnte: Am Freitag wurde bekannt, dass 4 Milliarden Euro, die in den Büchern als sofort verfügbare Mittel ausgewiesen wurden, schlicht nicht vorhanden sind.

Es war die Bank of America, die die Milchproduzenten aus Parma auf einmal als ganz gewöhnliche Hütchenspieler dastehen lässt: Sie veröffentlichte eine Note, aus der hervorgeht, dass das angebliche Milliardenkonto der Parmalat-Tochter Bonlat bei dem US-Bankhaus nicht existiert und die von Parmalat Anfang des Jahres den Buchprüfern vorgelegten Belege „nicht authentisch“, also gefälscht sind. Die Börse in Mailand reagierte sofort; die Aktie verlor innerhalb eines Tages 66 Prozent ihres ohnehin nur noch bescheidenen Wertes und wurde schließlich vom Handel suspendiert.

Damit kulminiert eine Krise, die sich schon in den letzten Wochen abzeichnete. Parmalat galt als eine der wenigen Erfolgsstories des italienischen Großkapitalismus. Sein Gründer und Mehrheitseigner, Calisto Tanzi, hatte die Milchfirma 1961 im Alter von nur 22 Jahren aus der Taufe gehoben. Tanzi setzte in den 60ern als einer der Ersten auf Tetrapak, dann auf den Vertrieb von H-Milch. Mit Erfolg: Erst eroberte er den italienischen Markt, dann schickte er sich in den Neunzigern zur weltweiten Expansion an. Heute ist der Milchmulti in 30 Ländern präsent, mit knapp 37.000 Beschäftigten (davon 4.000 in Italien) und einem Umsatz von etwa 7,6 Milliarden Euro (2002). Das macht Parmalat – der auch Käse, Tiefkühlkost, Snacks und Mineralwasser produziert – zum achtgrößten italienischen Industriekonzern und zum viertgrößten europäischen Nahrungsmittelproduzenten.

Doch gerade die rasante Expansion der letzten Jahre war vollständig auf Pump finanziert. Insgesamt etwa sechs Milliarden Euro kamen über am Markt ausgegebene Schuldverschreibungen in die Kassen der Parmalat – aber auch als Schulden in die Bilanzen. Um die Zinsen auf die Anleihen zu bedienen, reichten offenkundig die Erträge aus den zugekauften Unternehmen nicht aus. Die Parmalat-Unternehmensspitze stopfte die Löcher, indem sie immer neue Obligationen auswarf und das frische Geld zu gewagten Finanzspekulationen nutzte, gestützt auf die Kooperation mit italienischen, aber auch mit US-Banken wie der Citigroup oder der Bank of America.

So entstand ein fast undurchschaubares Netz von Offshore-Firmen, in dem manchmal echtes, nach neuem Stand aber vor allem viel fiktives Geld hin- und hergeschoben wurde. Passenderweise hieß einer der Offshore-Läden, mit denen Parmalat Geschäfte machte, „Buconero“ (auf deutsch: schwarzes Loch). Die Trickserei hatte das gewünschte Ergebnis, dass die Holding auf dem Papier immer im Plus war und gegenüber den immensen Schulden zugleich in der Bilanz 2002 einen dicken Batzen Cash von 4 Milliarden Euro ausweisen konnte.

Der Anfang vom Ende kam in diesem Herbst mit dem Crash eines anderen italienischen Lebensmittelkonzerns: des Konservenherstellers Cirio, der ebenfalls das große Rad der Obligationen gedreht hatte. Plötzlich wurden die Banken übervorsichtig und verweigerten Parmalat die weitere Unterstützung. Der Konzern, der angeblich Cash-Reserven in Milliardenhöhe hatte, war schon vor vierzehn Tagen nur unter größter Mühe imstande, im letzten Moment die Rückzahlung einer Obligation über 150 Millionen Euro vorzunehmen.

Zugleich kam heraus, dass etwa 500 Millionen, angeblich bei einem Fonds auf den Cayman-Inseln geparkt, sich offenbar in nichts aufgelöst hatten. Das kostete den Firmenchef Calisto Tanzi den Kopf. Die neue Nachricht, dass schier gar nichts von den 4 Milliarden übrig ist, könnte die Firma um die Existenz bringen. Die neue Unternehmensführung hat sich an den Staatsanwalt gewandt, der aber sowieso schon ermittelt.