Das Feixen der Verteidiger

Zum Freikauf hat er ihr ein rotes Kleid geschenkt und ein Essen ausgegeben. Die Kosten hat er heimlich abgezogen

AUS BERLIN MAREKE ADEN

Olesja G. sitzt in der Mitte des Gerichtssaals. Sie hat blondiertes Haar und trägt einen Hosenanzug mit Nadelstreifen. Alle schauen sie an. Sie soll die Angeklagten belasten. Das will die Reihe an der Fensterfront. Dort sitzen die Staatsanwältin und an einem langen Tisch die Anwältinnen der früheren Prostituierten. Undine Weyers ist eine Anwältin. Sie hat vor zwei Jahren auf dem feministischen Juristinnentag einen Vortrag mit dem Titel „Frau sein allein ist nicht genug“ gehalten, es ging darum, wann frau auch Männer vertreten dürfe. Sie legt sachte die Hand auf Olesjas Arm, bevor sie fragt, wie sie nach Deutschland kam und als Callgirl arbeitete.

Dann klingt die Geschichte von Olesja noch trauriger: Zur Erntearbeit ist sie aus der Ukraine nach Polen gekommen, zum Karottenschälen. Nie wollte sie als Prostituierte arbeiten. Sie hatte ihre Meinung dazu: „Es ist das Letzte, wenn sich eine Frau einfach so unter einen Mann legt.“ Nie hat sie etwas Böses geahnt: „Ich kenne diese Dokumentarfilme im ukrainischen Fernsehen, die zeigen, was mit unseren Mädchen in Deutschland passiert. Aber ich habe doch nie geglaubt, dass mir das passieren kann“. Auf ihren Reisen nach Polen, hat sie sich vorsichtshalber hässlich gemacht und dumm gestellt. Das hat am Ende nicht geholfen: Sie wurde nach Deutschland gelockt, vor der Grenze in ein Haus gesperrt und vergewaltigt.

Auch Borys B. hat sie vergewaltigt, ihr späterer „Chef“, jetzt der Hauptangeklagte. Für 25 Euro die Stunde musste sie in Berlin dann arbeiten, gleich, was man von ihr verlangte. Borys. B. hat das restliche Geld, 60 bis 100 Euro, kassiert. Sie sei angeboten worden wie Ware oder Fleisch, sagt sie ein paar Mal angeekelt. Abhauen oder Freizeit waren ausgeschlossen. Sie zeichnet auf, wo im Flur die Überwachungskamera angebracht war. So war ihr Leben in Deutschland bis ein Freier sie freikaufte. Er ist 30 Jahre älter, 51 Jahre alt und jetzt ihr Mann.

Wie das war, als sie ihn kennen gelernt hat, will die Staatsanwältin wissen. „Wie konnten Sie denn tief schürfende Gespräche führen, gab es keine Verständigungsschwierigkeiten?“ – „Beanstande die Frage“, ruft ein Mann von der gegenüberliegenden Seite des Saals. Er heißt Klaus Gedat und ist der Verteidiger von Borys B.: „Das würde ja voraussetzen, dass die Zeugin tief schürfende Gespräche geführt hat, dafür gibt es keine Anhaltspunkte.“ Die anderen Verteidiger grinsen. Es sind neun Männer und eine Frau. Bei ihrer Mandantenauswahl „mutmaßliche Menschenhändler“ hatten sie keine moralischen Bedenken. Einige sind sogar Menschenhandel-Fachanwälte, auch wenn sie das so nicht auf die Visitenkarte schreiben würden.

Einer berichtet, solche Verteidigungen seien allenfalls nervig, weil sie so lange dauerten und meistens in der Nacht begännen, nach Razzien. An ihrer Einstellung scheint das nichts zu ändern. Noch auf dem Gang reden sie sich in Rage über Olesja G. Besonders Klaus Gedat, der so etwas wie ihr Anführer ist und aussieht wie Michel Friedman. Für ihn muss die Welt aus den Fugen geraten sein, seit Prostituierte sich erdreisten gegen Männer auszusagen – Männer wie Borys B. oder Michel F.

Ohne Olesja G. hätte es keine Friedman-Affäre gegeben. Sie hatte ihren häufigen Kunden im Fernsehen erkannt und das der Polizei erzählt, auch von dem vielen Kokain. Ohne Olesja G. würde es diesen Prozess nicht geben. Sie ist die Hauptbelastungszeugin. Die Verteidiger haben sich auf sie eingeschossen. Sie merkt das und wird mit jedem Pozesstag gereizter. Sie ruft: „Ich bin ein Mensch, der selbst denken kann.“

Dann lehnt Gedat sich zurück, lächelt schief und sagt: „Klappt doch ganz gut mit Ihrem Deutsch.“ Er unterstellt ihr, sie brauche die Übersetzerin nur, damit sie länger überlegen kann, was sie am besten aussagt. Mit hochgezogenen Augenbrauen, süffisantem Lächeln, mit schlängelnden Handbewegungen zeigt er in jeder Minute, dass er ihr kein Wort glaubt. Er will sie einschüchtern. „Werte Frau G., Sie haben nicht dazwischenzureden, wenn ich mit dem Vorsitzenden Richter spreche“, mahnt er.

Das empört auch einen Teil der Zuschauer am hinteren Ende des Raums. Es sind die Vertreterinnen von Frauenorganisationen, die Olesja G. betreuen. „Dass der Mann sich die Blöße gibt“, murmeln sie. Aber die Einschüchterungstaktik von Klaus Gedat hat Erfolg, Olesjas Aussagen sind widersprüchlich, und an jedem Prozesstag verstrickt sie sich ein bisschen mehr. Dass Borys B. sie vergewaltigt habe, hat sie erst erzählt, als die Polizei die Vernehmung schon abschließen wollte. Jetzt wollen alle wissen, warum sie so lange gezögert hat. Sie habe nicht gewollt, dass ihr Mann davon erfährt, sie habe Angst vor Rache gehabt, sie habe erst vor Gericht darüber reden wollen, damit es schnell vorbei sei. Immer wieder sagt sie zum Richter: „Wenn Sie in einer solchen Situation gewesen wären, würden Sie mich jetzt verstehen.“ Der schaut dann zweifelnd. Für eine Verurteilung reicht das nicht.

Man müsse schon sehr von ihr eingenommen, „psychisch vorbelastet“ sein, um ihr das alles zu glauben, sagt der Verteidiger von Borys B., obwohl Olesja G. zumindest bei den Zuschauern immer wieder Mitleid erregt. Sie weint und weint. Sie regt sich auf. Sie flucht. Sie schreit: „Diese Schweine“. Damit meint sie Borys B., die beiden Polen, die sie zwei Wochen in einem vergitterten Haus vergewaltigt hätten – immer wieder. Damit meint sie auch ihre Freier, die sie manchmal darum gebeten habe, eine bestimmte Stellung nicht machen zu müssen, weil sie wehgetan hätte. Doch die Freier hätten sofort zum Telefonhörer gegriffen und sich über sie beschwert. Sie erzählt von altem Sperma und heißem Wachs, das man über sie geschüttet habe und es schüttelt sie immer noch. Mit viel Hass spricht sie auch über die Vorlieben ihres Kunden „Paolo Pinkel“ alias Michel Friedman. Das ist das, was die Zuschauer auf den hinteren Bänken hören wollen. Viele Details über Friedman und schmutzige Wäsche. Die Rentner und Rentnerinnen sind gelangweilt und wünschen sich einen möglichst unterhaltsamen Prozess. Manchmal rufen sie dazwischen.

Die Angeklagten sagen nichts. Sie schütteln nur immer wieder ihre Köpfe, wenn Olesja G. spricht, fast wie enttäuschte Eltern. Sie zittern, sind blass und kauen an den Fingern. Nur Justyna W., die Lebensgefährtin von Borys B., angeklagt wegen Beihilfe, weil sie einige Mal für ihn übersetzte, kann von ihrem Anwalt nur mit Mühe davon abgehalten werden, laut zu protestieren. In den Pausen wettert sie um so heftiger gegen die Zeugin. Ihrer Meinung nach kommen die Aussagen so zustande: 70 Prozent stammen von den Frauenorganisationen, 20 Prozent von den Anwältinnen, 10 Prozent habe Olesja selbst erlogen. Sie sagt: „Wenn nur die Feministinnen hier sprechen dürfen, dann bekommt Borys zehn Jahre. Wenn ich noch mal was sagen darf, wird er freigesprochen.“

Die Welt scheint aus den Fugen geraten, seit Prostituierte sich erdreisten, gegen Männer auszusagen

Einen Freispruch wird es nicht geben. Damit rechnen nicht einmal die Anwälte von Borys B. Aber die Höhe der Strafe schwankt sehr – je nach dem, ob der Richter Olesja die Vergewaltigungen glaubt oder nicht. Deswegen fragt er sie Stunde um Stunde. Man spürt, wie er hofft, dass seine Geduld ausreicht. Die langwierigen Übersetzungen sind ein Problem. Und die Wiedersprüche. Einmal sagt der Richter zur Zeugin: „Sie machen es einem wirklich schwer.“

Zu mehr würde er sich nicht hinreißen lassen. Er ist kein Richter, der mit dem Hammer zu Ordnung rufen würde, wenn er einen hätte. Der Wahrheit muss auf andere Weise geholfen werden: Mit Fragen und Fragen. Er stellt sie geschickt. Selbst die sexuellen Details fragt er behutsam ab. Nur einmal versagt seine Art des Verhörs. Als Olesja G. aussagt, zwei Wochen eingesperrt und vergewaltigt worden zu sein, fragt er: „Konnten Sie denn wenigstens um etwas zu lesen bitten?“

Herr G., ihr Mann, sagt, sie schreie und weine jede Nacht wegen der Vergewaltigungen. Den feixenden Verteidigern sagt er, er könne das aufnehmen und ihnen ein Tonband mitbringen. Er klagt das Gericht und die Verteidiger an, sie würden Olesja immer noch wie eine Frau zweiter Wahl behandeln. Dabei hat er Geld dafür bezahlt, damit sie nicht mehr als Prostituierte arbeiten muss.

Herr G. hat sie „freigekauft“. Sie war gegen den Handel. Sie fand den Preis viel zu hoch. Er hat sich oft mit ihr gestritten und sich am Ende durchgesetzt. „Was war denn Ihr Motiv“, fragt einer der Verteidiger. „Liebe“, antwortet Herr G. Er hat das Boulevardblatt BZ gelesen, die Anzeige „ukrainische Nymphen“ gesehen und eine „Bestellung“ aufgegeben. Als er ihr dann die Tür aufmachte, da war er verknallt, sagt er. Zu ihrem Freikauf hat er ihr ein rotes Kleid geschenkt und ein Essen ausgegeben. Die Kosten dafür hat er von den vereinbarten 25.000 Euro heimlich abgezogen. Vor Gericht hält er die Rechnungen hoch.

Jetzt begleitet er Olesja G. durch den Prozess und streichelt ihr jede Nacht die Wange, wenn sie weint. „Es ist manchmal nicht leicht, mit so einer Person zusammen zu sein“, sagt er. Trotzdem wirkt er zufrieden. Herr G. ist der Einzige, der nichts mehr von ihr erwartet. Er hat von ihr alles bekommen, was er will. Für 24.500 Euro darf er ihr Erretter sein.