Kinder voller Lesewut

Blockdieker Schüler demonstrieren für den Erhalt ihrer Bibliothek im Stadtteil. Alle drei Bürgerschafts-Fraktionen fordern vom Senat jetzt ultimativ ein Unterstützungskonzept für Schulbüchereien

bremen taz ■ „Pisa sagt, dass Kinder nicht lesen können. Warum schließt ihr dann unsere Bücherei?“ In riesengroßen krakeligen Buchstaben haben die SchülerInnen die Frage auf ein Leintuch gemalt, statt Rechnen und Schreiben üben sie heute politischen Protest. Grundschule Düsseldorfer Straße, gestern Morgen: Ein paar hundert Kinder und Erwachsene aus Blockdiek haben sich auf der Straße versammelt, um lautstark gegen den Rückzug der Stadtbibliothek aus ihrer Schule zu demonstrieren. Bis August gab es hier eine öffentliche Kinder- und Jugendbibliothek, dann reichte das Personal der Stadtbibliothek nicht mehr aus, um alle Zweigstellen in den Stadtteilen aufrecht zu erhalten. In Blockdiek wurden die Bücher der Grundschule überlassen, die soll die Bücherei seither selbst verwalten. Geld für Personal und Neuanschaffungen gibt es keins. „Die Bibliothek wird für die Kinder immer uninteressanter“, klagt Schulleiter Hermann Josef Stell.

Geschlossen wurde die Kinder- und Jugendbibliothek Blockdiek auch mit dem Hinweis auf die neue, größere Bibliothek in der Berliner Freiheit, zehn Bahn-Minuten entfernt. „Durch den Umzug in das Einkaufszentrum haben wir eine Steigerung der Ausleihzahlen um 80 Prozent erreicht“, sagt Erwin Meidtke, stellvertretender Direktor der Stadtbibliothek. Stell kritisiert an dem neuen Standort jedoch, dass „vor allem die jüngsten Kinder nicht allein dahin fahren können.“ Deshalb hofft der Schulleiter auf finanzielle Unterstützung der Stadt für die Schulbücherei – pro Jahr benötige man etwa 25.000 Euro, sagt er. Die Summe, die der Senat für so genannte Leseräume an Schulen bewilligt, liegt deutlich darunter: 1.500 Euro zur Erstbeschaffung von Büchern, dann weitere 975 Euro pro Jahr. Das Personal solle sich vor allem aus ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen setzen, teilte der Senat auf Anfrage von SPD und CDU mit. Die hatten sich nach den „Perspektiven von Bibliotheken in Schulen“ erkundigt.

Mit der Antwort ist die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Ulrike Hövelmann, nicht zufrieden. Deshalb hat die große Koalition zusammen mit der Grünen-Fraktion nun noch einen Dringlichkeitsantrag gestellt: Bis zum 30. April 2005 soll der Senat ein zwischen Kultur- und Bildungsressort abgestimmtes Konzept zur Unterstützung der Schulbüchereien vorlegen. „Seit zweieinhalb Jahren warten wir auf eine Entscheidung des Kultursenators, welche Standorte der Stadtbibliothek erhalten bleiben und welche schließen“, so Hövelmann verärgert. „Diese Unsicherheit ist eine Zumutung für Schulen und Mitarbeiter, denn so kann man kein Konzept für Schulbüchereien entwickeln.“ Jede Schule müsse eine Bücherei bekommen, denn „Lesen ist eine wichtige Schlüsselqualifikation“, fordert sie: „Der Zugang darf nicht vom Geld der Eltern abhängen.“

Dass auch mit wenig öffentlichem Geld und viel privatem Engagement eine Bibliothek möglich ist, hat die Kinderbibliothek in der Horner Straße gezeigt: Etwa 500 Mitglieder zahlen je 23 Euro pro Jahr, ein Dutzend Mitarbeiter arbeitet ehrenamtlich. Von den Beiräten Mitte und Östliche Vorstadt gibt es nochmal rund 1.500 Euro jährlich dazu – weniger als früher allerdings, der Grund: die neue Zentralbibliothek Am Wall, die im Oktober eröffnet hat. „Trotzdem kommen jetzt immer noch sehr viele Kinder zu uns, weil sie es hier schöner und übersichtlicher finden“, sagt Mitarbeiterin Martha Bull.

Angst um die noch vorhandenen Kinder- und Jugendbibliotheken in den Stadtteilen müsse niemand haben, beruhigt Erwin Meidtke: „Derzeit gibt es keine Pläne für weitere Schließungen.“

Ulrike Schröder