Abschottung in Selbstgewissheit

Theo van Gogh blieb ein Phantom: Eine Diskussion in der Volksbühne widmete sich mehr den hysterisierten Reden nach van Goghs Ermordung denn seinen Filmen. Mit trauriger Berechtigung – das Feindbild Islam passt in die Identitätssuche Europas

VON CRISTINA NORD

Das Gesicht hinter dem Gitter eines Rugby-Helms, von Rauch verschleiert: Diese Projektion eines Fotos von Theo van Gogh beherrschte am Mittwochabend die Leinwand im Sternfoyer der Berliner Volksbühne. „Der gesunde Raucher“ nannte sich die Veranstaltung; ein Abend über Theo van Gogh sollte es werden, mit Filmausschnitten und Diskussion. Das war reizvoll, insofern es bisher an Gelegenheiten mangelte, sich mit den Filmen des Ermordeten vertraut zu machen. Van Gogh blieb ein Phantom; ein Urteil über ihn bildete man sich anhand von Zitaten aus seinen Kolumnen, nicht anhand seiner Filme. Und je erregter die durch seinen Tod ausgelösten Diskussionen geführt werden, umso mehr treten van Gogh und seine Filme in den Hintergrund.

Die Veranstaltung in der Volksbühne hätte nun Aufschluss geben können über die entscheidende Frage: War van Gogh ein zwanghafter Provokateur, dessen Werk im Anti-PC-Furor der Neuen Rechten aufging und diesen blind fortschrieb? War er einer von den Sturköpfen, die allüberall die Hegemonie der politischen Korrektheit wittern und dagegen besinnungslos anrennen, einer von den Matusseks und Walsers? Oder nahm er vielleicht doch eine andere Rolle ein: die des zwanghaften Provokateurs, keine Frage, aber eines Provokateurs, dessen Respekt- und Geschmacklosigkeiten die Diskurse durcheinander brachten, so wie früher der Narr der symbolischen Ordnung spottete? Einer, der – einem Schlingensief, einem Fassbinder verwandt – die Verhärtungen und Knoten in den jeweils sauber getrennten Diskurssphären sichtbar machte? Und könnte eine solche maßlose, notgedrungen selbstverliebte Sprecherposition von Nutzen sein für eine emanzipatorische Politik?

Leider trug die Veranstaltung in der Volksbühne nicht dazu bei, herauszufinden, wer der Regisseur Theo van Gogh war. Das lag daran, dass es auch an diesem Abend um ihn und seine Filme nur am Rande ging: Ein Ausschnitt aus dem Kurzfilm „Euroquiz“, einer aus „Submission“, Koranverse auf nackter, versehrter Frauenhaut, dazu ein Voice-over, das aus der Ich-Perspektive von Misshandlung und der Mühsal arrangierter Ehe berichtet. Schon folgte die Diskussion, die wiederum sich mit dem Filmemacher kaum befasste. Der Abend war weit fortgeschritten, die eine Hälfte des Publikums – die, die wegen van Goghs Filmen gekommen war – hatte schon protestiert, bevor man dann doch noch eine halbe Stunde aus „Interview“ zeigen sollte – im kaum abgedunkelten Sternfoyer der Volksbühne; im Hintergrund die Stimmen derer, die sich für die Filme nicht interessierten.

Diese Auslassung freilich hatte eine traurige Berechtigung: Angesichts der hysterisierten Rede vom Kulturkampf, angesichts all der Politiker, die die Abschiebung schon für islamisch motiviertes Nasepopeln fordern, und angesichts der sich gegen Einwanderer hart machenden Mehrheitsgesellschaft zogen es die Diskussionsteilnehmer vor, über ebendiese Phänomene zu reden. Sie fragten, wovon nicht mehr die Rede ist, sobald allenthalben am Feindbild Islam gezimmert wird: von Hartz IV zum Beispiel, von der Arbeitslosigkeit, von den Aporien spätkapitalistischer Gesellschaften. Dabei fanden die sechs auf dem Podium – Katja Diefenbach vom b-books-Verlag, Sanem Kleff, Leiterin des Projektes „Schule ohne Rassismus“, Ex-taz-Inlandsressortleiter Eberhard Seidel, die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy, die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann und der Attac-Assoziierte Bülent Kücük immer wieder zu hellsichtigen Einschätzungen.

Eine Podiumsrunde, die, statt allen Positionen gerecht werden zu wollen, sich eher ähnlichen Ansichten verschreibt, kann dazu beitragen, dass sich die Argumentation verfeinert. So erfuhr man einiges darüber, wie das islamophobe Ressentiment von Medien und Politikern geschürt wird und wie es mittlerweile weite Teile auch der Linken erfasst. Man erfuhr, wie ein Staat, der sich in Ordnungsfantasien über das Alltagsleben der Einwanderer ergeht, total versagt, wo er deren politische und rechtliche Situation verbessern und damit die Grundlagen für Teilhabe stiften könnte.

Sanem Kleff wies darauf, dass – all dem Gerede über die islamistische Gefahr zum Trotz – offenbar keine probaten Mittel bereit stünden, um den politischen Islamismus zu bekämpfen. Anstatt eine effiziente Polizei- und Geheimdienstarbeit zu leisten, sei es dem Staat um lebensweltliche Verbote zu tun; anstatt den Islamismus als politische Bewegung zu visieren, werde der Islam insgesamt verdächtigt. Kleff nannte das Beispiel der radikalislamistischen türkischen Zeitung Vakit, die sich immer wieder der Volksverhetzung schuldig mache, an Berliner Kiosken aber ohne weiteres zu erwerben sei. Katja Diefenbach wiederum sprach davon, wie sich im Augenblick eine Form geteilten Rechtes etabliert: Während Einwanderer wegen einer Gesetzesübertretung mit Abschiebung rechnen müssen, droht diese Strafe keinem Herkunftsdeutschen. Sie sprach davon, wie europäische Gesellschaften, die durch den Abbau des Sozialstaates ihren Zusammenhalt verlieren, sich mit der Islamophobie eine neue, identitätsstiftende Klammer basteln. So wäre dann die Angst vor dem Islam ein Wiedergänger des guten alten Verblendungszusammenhanges.

Das war fast alles schön und richtig und wichtig. Nur: Hätte es dazu Theo van Goghs bedurft? Als die Diskussion sich endlich für das Publikum öffnete, beklagten einige, dass die Filme immer noch nicht gezeigt worden seien. Van Gogh, der Mann hinter dem Rauchschleier, wurde auch an diesem Abend nicht fassbar. Eine junge Frau erwiderte scharf: Zum Glück habe man keine Hermeneutik betrieben, zum Glück sich nicht mit ästhetischen Fragen befasst, zum Glück sei dies keine Gedenkveranstaltung geworden.

Da waren sie dann doch, die linke Rechthaberei und der Ausschluss des fremden Denkens; der totale Mangel an Empathie. Ja, warum sollte man van Goghs Filme gucken? Vielleicht damit sich das eigene, als progressiv imaginierte, sich seiner selbst so gewisse Denken nicht abschottet, wie es Europa tut.

Das Kino Brotfabrik zeigt Filme von Theo van Gogh, 20.–22. Dezember, 20.15 Uhr „Interview“, 22 Uhr „Cool“