DJINDJIĆ-PROZESS: DIE JUSTIZ MÜSSTE GEGEN SICH SELBST VORGEHEN
: Serbiens alte Kräfte stehen bereit

Mit dem Beginn des Prozesses gegen die mutmaßlichen Mörder des ehemaligen serbischen Premierministers müsste die serbische Justiz endlich beginnen, eines der dunkelsten Kapitel der eigenen Geschichte aufzuarbeiten. Es geht dabei nicht nur um den Mord und seine Umstände, sondern auch darum, wie und warum der kriminelle Untergrund so lange Zeit unbehelligt bleiben konnte. Der Zemun-Clan, der im Zentrum der Ermittlungen stand, war ja nicht nur mit den Spitzen der Politik, der Polizei und der Armee verbunden, sondern auch mit der Justiz. In der Milošević-Gesellschaft griffen die Räder reibungslos ineinander.

Ob es allerdings dazu kommen wird, die eigene Rolle zu hinterfragen, bleibt fraglich. Wenn in Belgrad vermutet wird, man wolle zwar den Zemun-Clan bestrafen, jedoch nicht das dahinter stehende System, dann kommt man der Wahrheit ziemlich nahe. Eine Selbstreinigung des Systems ist nicht zu erwarten. Dafür spricht auch, dass selbst in den Reihen der bis Ende Dezember regierenden Reformkoalition oder dem, was davon übrig geblieben ist, die Brücken zur kriminellen Unterwelt nicht gänzlich zerstört worden sind. Und wenn, wie zu erwarten ist, bei den Wahlen die nationalistischen und im Kern antidemokratischen Kräfte wieder die Mehrheit erreichen, dann ist ohnehin nicht mit einer Erneuerung des Justizsystems zu rechnen – die größten Parteien Serbiens werden nach wie vor von Leuten angeführt, die vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag stehen. Welcher Richter wird unter diesen Umständen unbefangen seinen Job erfüllen können? Spielräume entstehen so nur durch die Kämpfe zwischen den Kräften des alten Regimes.

Sicherlich, man muss die Wahlen abwarten. Doch in den umliegenden Ländern macht sich schon jetzt eine mulmige Stimmung breit. Nicht, weil das Justizsystem in Serbien sich nicht selbst reformieren wird, das hätte auch niemand erwartet, sondern weil die alten Kräfte Gewehr bei Fuß stehen. Man muss um die Aufrechten in Belgrad bangen. Und das bedeutet vor allem in Bosnien nichts Gutes. ERICH RATHFELDER