Touristen gegen Terroristen

Reisewarnungen können sinnvoll sein. Doch: Häufig wird durch sie die Lage in den betroffenen Ländern erst richtig unsicher – und die Demokratisierung gefährdet

Die kenianische Öffentlichkeit bekam einen Eindruck davon, was der Westen unter Solidarität versteht

Wenn gar nichts passiert, dann ist das selten eine überraschende Meldung. Aber es gibt Ausnahmen, und sie können erfreulich sein. So ist es beispielsweise eine gute Nachricht, dass die großen Hotels in Nairobi nicht von Bombenattentaten zerstört wurden.

Überhaupt besteht Anlass zur Freude angesichts der Ereignislosigkeit in Kenia: Keinen einzigen Terroranschlag hat es dort in diesem Jahr gegeben, und auch der Flugverkehr verlief reibungslos. Das ist erstaunlich. Schließlich haben westliche Regierungen, darunter auch die deutsche, ihre Bürger in den letzten Monaten mehrfach vor Reisen in das ostafrikanische Land gewarnt. Die Vorsicht scheint übertrieben gewesen zu sein. Macht ja nichts? Better safe than sorry? Das ist eine Frage des Standpunkts.

Die Tourismusindustrie ist der größte Arbeitgeber in Kenia, wo 60 Prozent der Bevölkerung internationalen Statistiken zufolge unterhalb der Armutsgrenze leben. Oder muss man sagen: war? Das Geschäft liegt darnieder, und die Folgen für die ohnehin angespannte Wirtschaftslage sind dramatisch.

Ein Beispiel: Anfang Dezember hat die kenianische Hafenbehörde den Bau eines modernen Kreuzfahrtterminals für umgerechnet 5,7 Millionen Euro beschlossen. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass viele Schifffahrtslinien im nächsten Jahr die Hafenstadt Mombasa nicht anlaufen werden. Der Grund seien offenbar Sicherheitsbedenken, sagte der Vorsitzende des kenianischen Tourismusverbandes, Raymond Matiba. Er rechnet in diesem Sektor mit einem Rückgang von mehr als 50 Prozent.

Von Planungssicherheit kann vor einem solchen Hintergrund keine Rede sein. Für die Regierung ist das zum gegenwärtigen Zeitpunkt besonders bitter. Vor einem Jahr hat in Kenia ein – weltweit nur wenig beachteter – demokratischer Machtwechsel stattgefunden. Das autoritäre Regime des langjährigen Präsidenten Daniel arap Moi wurde friedlich abgelöst. Auf der neuen politischen Führung lasten große Erwartungen, und sie hat ehrgeizige Ziele verkündet. Ganz oben auf der Liste der Prioritäten steht der Kampf gegen die Korruption, die in den letzten Jahren das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen zerstörte und Investoren abschreckte. Dieser Kampf ist auch ohne ungünstige Einflüsse von außen schwer genug.

Pech für die Betroffenen, aber leider nicht zu ändern? Wo Menschenleben auf dem Spiel stehen, dürfen wirtschaftliche Interessen und politische Erwägungen keine Rolle spielen? Ein ehrenwerter Standpunkt. Allerdings ein wenig theoretisch. Geheimdienstinformationen zufolge planen islamistische Terroristen zwischen Weihnachten und Neujahr in Italien Anschläge auf „Symbole des Christentums“. Scharfe Sicherheitsvorkehrungen sollen nun sakrale Bauten schützen. Derzeit lieber nicht hinfahren? Das Auswärtige Amt legt sich da nicht fest: „Für das Land besteht momentan kein länderspezifischer Sicherheitshinweis.“

Misst das deutsche Außenministerium mit zweierlei Maß? Nachdem es am 2. Dezember empfohlen hatte, Reisen nach Nairobi vorläufig zu verschieben, fand sich gestern auf der AA-Homepage die Information: „Jüngste Hinweise auf einen Terroranschlag gegen westliche Hotels in Nairobi haben sich nicht konkretisiert. Dennoch ist von einer hohen fortbestehenden Gefahr terroristischer Attentate auszugehen.“ Widerlegen lässt sich so etwas nicht. Schließlich kann immer etwas passieren.

Zweimal ist ja auch bereits etwas passiert. 1998 starben bei einem Bombenanschlag auf die US-Botschaft in Nairobi 214 Menschen, im November letzten Jahres forderte ein Selbstmordattentat auf ein Hotel in Mombasa 15 Opfer. Ist es da ein Wunder, wenn die Verantwortlichen im Zusammenhang mit Kenia besondere Vorsicht walten lassen? Nein, ein Wunder ist es nicht, und es ist auch niemand um die Aufgabe zu beneiden, die Seriosität von Terrorwarnungen einschätzen zu müssen. Wer will sich schon vorwerfen lassen, leichtfertig den Tod von Touristen verschuldet zu haben.

Solche verständlichen Sorgen dürfen aber nicht dazu führen, dass jede anonyme Drohung sofort Panikreaktionen auslöst. Dem Vernehmen nach hat vor drei Wochen ein entsprechender Telefonanruf bei der US-Botschaft in Nairobi genügt, um die jüngsten Reisewarnungen westlicher Regierungen zu veranlassen. Sollte das so gewesen sein, dann wäre das politisch sehr kurzsichtig – und ein gefährlicher Verstoß gegen unsere eigenen Interessen.

Noch Mitte Mai war es nämlich die kenianische Regierung selbst gewesen, die darauf hingewiesen hatte, dass sich möglicherweise ein gesuchter Terrorist im Lande aufhielt. Diese Information sollte offenbar den Willen des neuen Kabinetts bekräftigen, im Kampf gegen den Terror weiterhin fest an der Seite des Westens zu stehen.

Briten, US-Amerikaner und auch Deutsche verfahren nach dem Motto:Rette sich, wer kann

Künftig werden es sich die Verantwortlichen jedoch vermutlich gut überlegen, ob sie ein weiteres Mal so auskunftsfreudig sein wollen. Briten, US-Amerikaner und auch Deutsche verfuhren nach dem Motto: Rette sich, wer kann. London und Washington sprachen Reisewarnungen aus, deutsche Veranstalter boten kostenlose Umbuchungen an, und das Auswärtige Amt legte Bundesbürgern, die sich bereits in Kenia befanden, die Ausreise nahe.

Die kenianische Öffentlichkeit bekam einen Eindruck davon, was der Westen unter Solidarität versteht. Folgenlos bleibt so etwas nicht. British Airways durfte auf Anweisung des britischen Außenministeriums aus Sicherheitsgründen 12 Wochen lang Kenia nicht anfliegen. Seit vier Monaten landen die Maschinen wieder – aber nun klagt die Fluggesellschaft über massive Buchungsrückgänge. Für viele Kenianer ist es inzwischen eine Frage des Nationalstolzes, auf andere Anbieter auszuweichen. Kenya Airways wirbt mit dem Slogan: „We start flying where others stop – wir fangen mit dem Fliegen dort an, wo andere aufhören.“ Und ein kenianischer Reiseveranstalter definiert in einer lokalen Wirtschaftszeitung die Fronten: „Wir gegen die.“ Kenia sei zum Ziel von Terroristen geworden, weil es die Interessen von Großbritannien und den USA schütze. Aber als tausende von Jobs durch die Reisewarnungen vernichtet worden seien, hätten Washington und London wenig getan, um zu helfen.

Wer sich fragt, wie antiwestliche Stimmungen eigentlich entstehen, kann vom Beispiel Kenias viel lernen. Das Land blickt auf jahrzehntelange stabile Beziehungen zu Westeuropa und den USA zurück. Vor gut einer Woche gab es bei antiamerikanischen Ausschreitungen in der ostkenianischen Stadt Garissa mehr als 40 Verletzte, darunter neun US-Soldaten. Mehrere hundert Muslime hatten gegen die Präsenz von US-Truppen in dem Ort, der nahe der somalischen Grenze liegt, protestiert. Ein Zwischenfall, nicht mehr. Aber ein Besorgnis erregender. Vielleicht sollten wir uns für den Aufbau von Zivilgesellschaften und für die Gründe, die zu deren Verfall führen, nicht regelmäßig erst dann interessieren, wenn es ganz laut kracht. BETTINA GAUS