Ein Jahrhundertprozess mit Schönheitsfehlern

Seit gestern stehen die mutmaßlichen Mörder von Serbiens Premier Djindjić vor Gericht. Hauptverdächtiger ist flüchtig

BELGRAD taz ■ Gestern begann in Belgrad der „Prozess des Jahrhunderts“ gegen die mutmaßlichen Mörder des im März getöteten serbischen Ministerpräsidententen Zoran Djindjić. Im für diesen Anlass errichteten Saal des Sondergerichts für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen, mit für Serbien spektakulären Sicherheitsvorkehrungen, werden 21 Personen hinter einer Wand aus Panzerglas auf der Anklagebank sitzen. Allen voran der Heckenschütze, Zvezdan Jovanović, dessen Schüsse Djindjić tödlich vor dem Regierungsgebäude im Zentrum Belgrads getroffen haben sollen.

Neben dem Attentat auf Djindjić werden die Mitglieder des „Clans von Zemun“ für rund 200 Straftaten, darunter über ein Dutzend Morde, mehrere Entführungen, Drogen- und Frauenhandel, unbefugter Waffenbesitz und organisiertes Verbrechen, verantwortlich gemacht. Mehr als achtzig Anwälte werden die Elite der serbischen Unterwelt verteidigen.

Der Schönheitsfehler ist, dass sich der Hauptverdächtige und Boss des „Clans von Zemun“, Milorad Luković, genannt Legija, und vierzehn seiner engsten Mitarbeiter immer noch auf der Flucht befinden. Legija und führende Leute des Clans waren Offiziere der kriegserfahrenen Sondereinheiten der serbischen Polizei. Ungeachtet der Wende vor drei Jahren sollen sie weiter engen Kontakt zur Spitze der Kriminalpolizei, der Geheimdienste und der Justiz gehabt haben.

Polizei und Justiz aus der Zeit von Milošević seien nicht reformiert worden, warnte Nataša Kandić, Leiterin des „Fonds für humanitäres Recht“, was den Prozess erschweren könnte. Die bisherigen Ermittlungen hätten die „politischen Hintergründe“ des Attentats völlig vernachlässigt.

Auch serbische Medien werfen der bisherigen Untersuchung der Polizei vor, sich vorwiegend mit den Attentätern selbst, nicht jedoch mit möglichen Auftraggebern beschäftigt zu haben. Das seriöse politische Magazin NIN bezweifelt des Weiteren, dass nur ein Heckenschütze auf Djindjić geschossen haben soll, wie die Polizei behauptet. NIN veröffentlichte Beweise und Zeugenaussagen, die auf einen zweiten Heckenschützen hinweisen. Dies bestätigte auch Djindjić’ Leibwächter Milan Veruović, der bei dem Attentat schwer verwundet worden war.

Über 12.000 unmittelbar nach dem Attentat auf Djindjić festgenommene Personen befinden sich wieder auf freiem Fuß. Obwohl kritische Stimmen laut wurden, Djindjić hätte ohne die Beihilfe von Teilen des Innenministeriums und des Geheimdienstes nicht ermordet werden können, ist in der Polizei keine Untersuchung durchgeführt worden. Weder ist der Innenminister zurückgetreten, noch Personen, die für den Schutz des Premiers verantwortlich waren.

Der Prozess findet inmitten einer absoluten institutionellen Krise und knapp vor den vorgezogenen Parlamentswahlen am 28. Dezember statt: Das Land hat keinen Präsidenten, kein Parlament, keine Verfassung, und die Regierung ist zurückgetreten. Die Frage drängt sich auf, wer in dieser Situation die Polizei und die Streitkräfte kontrolliert.

ANDREJ IVANJI

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