Don Silvio und der Prof, Teil 2

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Tausende Menschen klatschen begeistert, schwenken enthusiastisch die roten Fahnen der Linksdemokraten oder die blassgrünen Banner des „Ölbaumbündnisses“, feiern ihren Star, der eben in die Halle einzieht: Romano Prodi. So wird es sein. Prodi meldet sich zurück auf der politischen Bühne Italiens, und extra für ihn gibt es heute Nachmittag eine Großkundgebung im „Palalido“ in Mailand. Prodi, bis vor wenigen Tagen EU-Kommissionspräsident, sitzt nicht im italienischen Parlament, doch von heute an darf „Il Professore“, wie er in Italien auch heißt, ganz offiziell als der Oppositionsführer gelten, als der Spitzenkandidat für die nächsten Wahlen, als der Anti-Berlusconi. Sein Name steht ganz allein auf den Plakaten, die zur Veranstaltung einladen: „Mit Prodi – gegen den Streichhaushalt“ Berlusconis.

Tausende Menschen klatschen begeistert, schwenken enthusiastisch die azurblauen Fahnen der Forza Italia, feiern ihren Star, der in die Halle einzieht: Silvio Berlusconi. Auch er meldet sich zurück, obwohl er nie weg gewesen war, obwohl er in den letzten dreieinhalb Jahren Italien regierte. Zurück aus dem Umfragetief, zurück von den politischen Abgesängen auf die Ära Berlusconi, und mit dem Persilschein des Mailänder Gerichts, das ihn gestern von allen Korruptionsvorwürfen freigesprochen hat. Auch sein Name steht ganz allein auf den Plakaten, die heute zum „No-Tax-Day“ – und natürlich zum No-Prodi-Day – in den Sportpalast von Venedig einladen. Was das Lifting der letzten Weihnachtsferien, was die Haartransplantation im Sommer nicht bewirkte, das soll jetzt die gerade beschlossene Steuersenkung richten: Als strahlender Held wird Berlusconi auf die Bühne gehen, von Aufschwung und wachsendem Wohlstand künden – während zur gleichen Zeit, ein paar hundert Kilometer westlich in Mailand, Prodi mit tiefen Sorgenfalten im Gesicht den drohenden Niedergang Italiens an die Wand malt.

Steuerreform à la Berlusconi

Da ist es wieder: das Duell zwischen den neuen, alten Gegnern. Schon im Wahlkampf 1996 hießen die beiden Kandidaten Romano Prodi und Silvio Berlusconi. Prodi siegte damals, und Berlusconi konnte in Ruhe zahlreiche politische Nachrufe lesen. Dann scheiterte Prodi 1998 als Ministerpräsident an der eigenen Koalition – und durfte sich seinerseits politisch totsagen lassen. 2001 triumphierte Berlusconi bei den Wahlen, während Prodi im Exil der EU-Kommission voll grimmiger Genugtuung der Niederlage seines Lagers zuschaute – einer Niederlage, für die ihn niemand verantwortlich machen konnte.

Jetzt treten sie wieder gegeneinander an, und es ist, als liefe da ein Film, den man schon gesehen hat. Romano Prodi, der scheinbar Gutmütige, der ein wenig wirkt wie ein Landpfarrer aus der Gegend von Bologna, präsentiert sich den Wählern heute erneut als der ruhende Pol in schweren Zeiten, wenn er, ernst und ein bisschen gravitätisch, mit Berlusconis Politik abrechnet. Hat Berlusconi den Italienern nicht 2001 von einem „Traum“ gekündet – aber hat sich der nicht als Albtraum entpuppt? Vom Aufwachen nach diesem Alb wird Prodi reden, davon, dass jetzt die Ärmel hochgekrempelt werden müssen, dass mit Mitte-links für Italien ein neuer Tag beginnt.

Dabei hat das Land gerade erst eine „epochale Wende“ erlebt – meint jedenfalls Silvio Berlusconi. Mit seinem „64-Zähne-Lächeln“, wie seine Gegner lästern, ist er das genaue Gegenbild zu Griesgram Prodi. Er, der seit 1994 mit der immer gleichen und für heute wieder aufgefrischten Botschaft durchs Land zieht: dass er, der Deus ex Machina, es schon richten wird, wenn die Wähler ihn bloß lassen. Zeigt er nicht immer wieder, dass er gar kein „normaler Politiker“ ist? „Als Erster“ in Italien seit Menschengedenken habe er die Steuern gesenkt – diese Botschaft wird er heute seinen Anhängern einhämmern. Mindestens ebenso wichtig wie das, was er so macht, ist für Berlusconis Selbstinszenierung aber, wie er es macht. Wie ein Boss eben, nicht wie ein „Politikaster“. Die Steuersenkungen: Hat er, der Zupackende, sie nicht per Ukas durchgesetzt gegen die widerspenstigen Koalitionspartner? Gegen Vizepremier Gianfranco Fini von der Alleanza Nazionale, der meinte, man müsse „den Leuten die Wahrheit sagen“, dass Steuergeschenke einfach nicht drin sind?

Gewiss, Berlusconi gibt zu, dass die jetzt erfolgten Kürzungen bei der Einkommensteuer – insgesamt höchstens 6 Milliarden Euro – rein „symbolischen“ Wert haben, dass der Effekt auf die lahmende Konjunktur gegen null tendieren wird. Aber darum geht es ja gar nicht, sondern darum, sich den Wählern als ehrlicher Partner zu präsentieren. Im Wahlkampf 2001 hatte Berlusconi mit großem Pomp in der beliebten Talksendung „Porta a porta“ feierlich einen „Vertrag mit den Italienern“ unterzeichnet. Punkt 1: „Weniger Steuern für alle“. Jetzt muss dieses Versprechen wenigstens symbolisch eingelöst werden, sonst – so Berlusconi – „brauchen wir uns bei den Wählern gar nicht mehr sehen zu lassen“. Die Umfragen der letzten Monate gaben dieser Einschätzung Recht: Die Forza Italia sackte unter die 20-Prozent-Marke, die gesamte Rechtskoalition lag abgeschlagen hinter Mitte-links.

Jetzt hat Berlusconi wieder Luft; zumindest im eigenen Lager herrscht Aufbruchstimmung. „Endlich passiert was“, meint Mario, Haushaltswarenhändler in einem gut situierten Viertel Roms, „hoffen wir nur, dass die Steuersenkungen in den Konsum fließen, immerhin 500 Euro soll es ja geben pro Kopf.“ Er weiß nicht genau, woher er die Zahl hat, aber egal: „Endlich unternimmt einer was.“

Entgegengesetzt ist die Stimmung im Supermarkt Panorama in Prenestino, einem Viertel, wo einfache Leute leben. „30 Euro im Monat – ein Treppenwitz angesichts der massiven Einkommensverluste durch die Inflation in den letzten Jahren“, schimpft ein Mann, der an der Kasse Schlange steht. „Fragen Sie mal hier die Leute. Viele von denen kommen kaum noch über die Runden, haben am Monatsende ernste Probleme, überhaupt noch was auf den Tisch zu bringen.“ Staatsangestellter sei er, aber er habe das toll gefunden, als hier im Panorama vor einigen Wochen linke Demonstranten den „proletarischen Einkauf“ ausgerufen hätten: „Dutzende von ganz normalen Kunden haben voller Begeisterung die Regale geplündert, und ich kann die gut verstehen.“

Ein Kampf um die Stimmung im Land – dies vor allem wird das heute eingeläutete Dauerduell bis zu den Wahlen 2006 sein. Nicht umsonst hat Romano Prodi in Mailand vier Menschen zu sich aufs Podium gebeten: einen Arbeiter, eine Hausfrau, einen prekär Beschäftigten und einen Uni-Assistenten. Die haben die Miseren Italiens darzulegen, zu erzählen, wie das Geld nicht reicht, wie die Arbeitsmarktreformen letzte Sicherheiten beseitigen, wie Berlusconi Schulen und Universitäten herunterwirtschaftet, nur um Steuergeschenke verteilen zu können. Und dann kommt der Auftritt Prodis, des erfahrenen Sanierers, der das Land schon 2000 als Regierungschef in die Eurozeit führte, ohne groß an Sozialleistungen zu streichen.

Prodi fehlen noch Verbündete

Berlusconi braucht dagegen in Venedig niemand aufs Podium zu rufen: Er genügt sich selbst, mit seinen nun wieder präsentablen Aufbruch- und Wunderversprechen. Zwar sind seine Karten schlechter als beim Sieg 2001: Mittlerweile hat Berlusconi durch die Bank alle Gewerkschaften gegen sich, aber auch den Industriellenverband, der ihm früher enthusiastisch folgte. Und wohl kaum eine Regierung vorher hatte mit so massiven Protesten zu kämpfen: An den Schulen rebellieren Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam gegen Reformen und Kürzungen, an den Unis marschieren Professoren und Studenten gemeinsam; im Gesundheitswesen kreuzen sich Ärzte- und Patientenproteste.

Dennoch hat Berlusconi einen starken Verbündeten und Prodi einen starken Gegner – die Oppositionsparteien. Sie alle haben zur Kundgebung heute in Mailand gerufen, ihre neun Symbole werden an der Saalwand hängen, zusammen mit dem Motto „Il futuro ci unisce“. Mag sein, dass die Zukunft die Oppositionsparteien eint; in der Gegenwart aber ist von Einigungsbemühungen wenig zu spüren. „Große demokratische Allianz“ nennt sich die Opposition mittlerweile, weil zu den Parteien des Ölbaumbündnisses auch Rifondazione Comunista gestoßen ist, und innerhalb des Ölbaumbündnisses haben sich vier Parteien zur „Föderation“ der reformistischen Kräfte zusammengeschlossen, sind schon zu den Europawahlen im letzten Juni gemeinsam angetreten. Das klingt nach Zusammenhalt – und steht doch oft genug für das Gegenteil. In diesen Wochen verbringt Romano Prodi jedenfalls viel Zeit auf Krisengipfeln des eigenen Lagers. Verbissen wird da um die Spitzenkandidaturen bei den Regionalwahlen im nächsten Frühjahr gekämpft, verbissen streiten die Parteien, ob sie nun gemeinsam oder doch lieber wieder getrennt antreten sollen. Prodi kann sich nur zu gut erinnern, wie es ist, ohne Hausmacht eine zerstrittene Koalition zu führen: Schnöde stellte man ihm 1998 den Stuhl vor die Tür.

„Er mag gutmütig wirken, aber er ist ein harter Knochen“, sagt ein Politiker der Linksdemokraten, der nicht genannt werden möchte, „und seit seinem Debakel 1998 ist er noch misstrauischer geworden.“ Den Parteichefs seines Bündnisses jedenfalls traut er nicht über den Weg – und schaut sich trotz aller Abneigung doch das ein oder andere Rezept bei Berlusconi ab. Die Kundgebung heute jedenfalls war seine Idee: Ganz wie sein Gegner möchte Prodi sich direkt von den Massen als Kandidat ausrufen lassen, vorbei an und notfalls gegen die Parteizentralen, heute in Mailand und nächstes Jahr bei oppositionsinternen Vorwahlen.