ITALIENS PREMIER NUTZT DIE PARMALAT-KRISE FÜR SEINE ZWECKE
: Politik für den Standort Berlusconi

Ein Großunternehmen in der Krise – das ist natürlich auch die Stunde der Politik. Da gilt es, sich um den Standort zu kümmern; da gilt es natürlich auch, Macher- und Retterqualitäten zu demonstrieren. Gerhard Schröder hat es bei Holzmann vorgemacht. Jetzt wird sich Silvio Berlusconi in der Parmalat-Krise engagieren – er aber verfolgt ein viel ehrgeizigeres Ziel als Standortpflege per Intensivtherapie eines Großunternehmens oder als die wählerwirksame Inszenierung der Rettung von ein paar tausend Arbeitsplätzen. Berlusconi nutzt die Parmalat-Krise für ganz eigene Zwecke: für die Ausräumung eines weiteren Gegengewichts, einer weiteren unabhängigen Kontrollinstanz, die seiner Machtentfaltung noch Grenzen setzen könnte.

In Berlusconis Fadenkreuz ist die Banca d’Italia. Schmählich versagt habe die Notenbank, so die Stimmen aus dem Lager des Premiers. Deshalb müsse ihr die Kreditaufsicht entzogen werden. Kaum jemand in Italien bestreitet, dass die Banca d’Italia in der Parmalat-Krise keine gute Figur macht. Viele aber fürchten, dass die Dinge mit einer Unterordnung der Kreditaufsicht unter die Berlusconi-Regierung nicht besser, sondern schlimmer würden. Denn da macht sich einigermaßen schamlos ein Bock zum Gärtner.

Schließlich war es Berlusconi selbst, der als Unternehmer wie so viele seiner Kollegen das große Rad des illegalen Offshore-Business drehte. Bis in die Neunzigerjahre hinein soll er immerhin über 600 Millionen Euro schwarz in einem Netzwerk von Steuerparadiesen geparkt – auf den Cayman-Inseln, den Virgin Islands oder sonstwo – und sie damit jeder Kontrolle entzogen haben. Und schließlich war es der Politiker Berlusconi, der die gegen ihn gerichteten Ermittlungen stoppte, indem er Bilanzfälschung in den meisten Fällen vom Straftatbestand zur bloßen Bußgeldsache herunterstufte. Für diese Übung hatte er sich einen pikanten Zeitpunkt gewählt: Die USA zogen gerade nach dem Enron-Skandal die Bremse, verschärften die Strafen für Bilanzfälschung dramatisch. Die ganze Welt diskutierte derweil über die Unsitten, die der neoliberal entfesselte Kapitalismus so mit sich brachte. Premier Berlusconi dagegen sandte kräftig Signale an die Unternehmerschaft, die besagen, dass in seiner Welt auch große Sünden als Kleinigkeit betrachtet werden.

Dass es mit dem von Berlusconi gestarteten Angriff auf die Banca d’Italia um Sparerschutz gehen soll, ist deshalb kaum zu glauben. Eher schon wird das Gegenteil passieren: Ausgerechnet als Reaktion auf einen Megaskandal des Raubritterkapitalismus räumt Berlusconi die letzte Kotrollinstanz weg, die den Raubrittern in Italiens Finanzwelt noch lästig werden konnte. MICHAEL BRAUN