: Die alte Holzbank kommt zur Ruhe
Im Reservat der Dinge: Auf ihren Fotografien zeigt Ricarda Roggan abgewetztes Mobiliar, das ein wenig fremd in weißen Räumen herumsteht. Jetzt sind die Arbeiten im neu gebauten Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen, wo sich seit dessen Eröffnung das gewisse MoMA-Feeling verbreitet
VON SIGRUN HELLMICH
Nichts als diese Holzbank ist zu sehen – vor oft geweißten Wänden, auf zerschrammtem Boden. Sie gehört da nicht hin, das ist sofort klar, aber nicht, warum. Auch der Titel hilft nicht: „Bank“ (2004) ist die jüngste aus einem Dutzend großformatiger Fotografien, mit denen die 32-jährige Ricarda Roggan ihre erste Museumsschau bestreitet. Und sie hat damit die Ehre der ersten Ausstellung im gerade während einer euphorischen Eröffnungswoche gefeierten Neubau des Museums der bildenden Künste in Leipzig.
So spektakulär wie ihr Triptychon „Stühle und Tische“ (2003) sind die Arbeiten der in Dresden geborenen und an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, einer der ältesten und profiliertesten deutschen Lehrstätten für Fotografie, ausgebildeten Künstlerin nur selten. Hier führt sie eine verblüffend lange Reihe von Versammlungstischen und in Reih und Glied gestellten Stühlen wie nahtlos zusammengesetzt vor, allerdings aus leicht verschobenem Standpunkt, in drei Formate zerteilt. „Zwei Stühle“, „Stuhl, Tisch und Kasten“, „Liege“ – alle ihre Titel benennen lapidar das, was gezeigt wird: abgenutztes Mobiliar. Ricarda Roggan hat es in verlassenen Wohnungen und Arbeitsstätten gefunden. An einem anderen Ort, in leeren Räumen „zur Ruhe gekommen“, wie sie sagt, positioniert sie die Möbel akribisch genau in der ursprünglich vorgefundenen Ordnung, um sie fotografisch festzuhalten.
Sie will nichts arrangieren, wohl aber Perspektiven festlegen. Auf dem „Tisch mit den weißen Beinen“ und dem „Tisch mit den schwarzen Beinen“ liegt die gleiche unsägliche Wachstuchdecke made in GDR, hier zu lang und da zu knapp. Zeigt die eine Aufnahme den Tisch links in einer Ecke, zeigt ihn die andere in der rechten Ecke. Seherfahrung werden plötzlich irritiert, man beginnt zu rekapitulieren. Es handelt sich, erfährt man, um das Mobiliar einer Schule. In der Anonymität der Raumkulissen mit neuer Bedeutung aufgeladen, macht es die Strategie der Fotografin kenntlich.
Ricarda Roggan dokumentiert Rekonstruktionen von Realität. Die Dramatik entsteht durch den Kontextentzug. Nun ist das Spiel mit Wahrnehmungs- und Abbildmechanismen nicht neu. Weil aber Ricarda Roggan in ihren technisch perfekten Fotografien nicht weniger subtil wie raffiniert die Seh-, Aktions- und Sinnebenen seziert, faszinieren und verstören ihre Bilder. „Das Paradies der Dinge“, so der Titel der Ausstellung, ist eigentlich ein Reservat. Und das Foto mit der Bank eine Reminiszenz. Es entstand im leer geräumten Interimsquartier des Museums, in Räumen, wie sie die Fotografin sucht.
Ein ausgedientes Handelshaus in einer Einkaufsstraße war die letzte Station in der Odyssee der 1837 begründeten Leipziger Kunstsammlung, der zweitältesten deutschen Bürgersammlung, bevor auch sie jetzt endlich „zur Ruhe gekommen“ ist. Nachdem ihr Stammhaus 1943 bombardiert wurde, kam sie bis 1997 im ehemaligen Reichsgericht unter. Als das 1990 zum Sitz des Bundesverwaltungsgerichts erklärt wurde, tat sich die Chance für einen Museumsneubau auf – dem einzigen in den neuen Bundesländern. Land und Bund sagten die Finanzierung von je 15 der auf 74,5 Millionen Euro gestiegenen Baukosten zu. Ein „Schatzhaus im Block“, mitten in der Stadt, schlug das Berliner Architekturbüro Hufnagel, Pütz, Rafaelian vor und setzte sich damit gegen 500 Wettbewerbsteilnehmer durch. Ein simpler Kubus aus Beton und Glas sollte mit einer vorgehangenen Glasfassade leuchten wie ein Kristall und von vier Winkelgebäuden gerahmt sein, um damit die kriegszerstörte Stadtstruktur wiederherzustellen. Welch eine Aufbruch-Ost-Vision!
Trutzig steht der Bau nun da, wie mit Dornen umgeben vom Gerüst für das technisch bisher nicht realisierbare, auf 2005 vertagte Glaskleid. Über die Flächen der noch fehlenden Randbebauung, die bislang nur ein schneller Zusatzbau fürs Stadtgeschichtliche Museum andeutet, wächst hoffnungsvoll Gras – es fanden sich keine Investoren.
Zur Eröffnung standen nun die Leute Schlage: MoMA-Feeling in Leipzig. Im Inneren des neuen Hauses führen enorme, eichenholzgetäfelte Treppenhäuser in riesige Hallen und Höfe aus Sichtbeton und Muschelkalk, bevor man in die traditionellen Sammlungskabinette gelangt. Überzeugend ist die antihierarchische Anlage, die keine Rundgänge vorschreibt. Doch sonst wäre das nicht unwillkommene architektonische Pathos von barocker Raumverschwendung und konventionellem Minimalismus trist ausgefallen, hätte nicht Hans-Werner Schmidt, der vor vier Jahren als Museumsdirektor antrat, sogar im gerichtlichen Dissens, Änderungen durchgesetzt. Er mobilisierte Künstler, Sammler und Galeristen, um Werke des Spätmittelalters bis zur Gegenwart, von Rogier van der Weyden bis Neo Rauch und Daniel Richter, von Cranach bis Cattelan in einen frischen Dialog zu bringen – auf vier Ausstellungsebenen mit 7.000 Quadratmetern und den überdimensionierten Verkehrsflächen.
Die Stadt, die mit Olympia auftrumpfen wollte, sieht nun, dass sie es mit der Kunst ohne weiteres könnte. Freilich müsste dann bei der Personal- und Finanzausstattung des Museums beträchtlich aufgestockt werden. Ausstellung, Katalog und Ankauf für Ricarda Roggan sind dem Preis der Landesbank Sachsen für junge Kunst zu danken.
Bis 13. Februar 2005, Katalog (Kunstpreis der Sachsen LB 2004) 14 Euro
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