Eifersucht springt aus dem Rahmen

Langsam tauendes Eis: Bremerhavens neuer „Othello“ lebt vom Gegensatz der eingefrorenen Bilder zur Leidenschaft seiner Musik

Deutschlands kleinster Opernchor ist in Top-Form, auch das Orchester wird immer besser

Der schwere vergoldete Rahmen, der vor die Bühne des Großen Hauses gesetzt wurde, erzählt von der Opernpracht des 19. Jahrhunderts. Aber der untere Teil dieser Rahmung zeigt, was übrigbleibt, wenn der Glanz blättert und weg bricht: Eine nackte, schmutzige Ziegelsteinmauer. So hochsymbolisch eingefasst präsentiert Bremerhavens Stadttheater Giuseppe Verdis Eifersuchts-Drama „Othello“.

Sind die heftigen Leidenschaften also Leidenschaften einer vergangenen Zeit oder bricht die Kraft dieser Oper durch jeden noch so kitschigen Rahmen hindurch? Jasmin Solfaghari, Oberspielleiterin des Musiktheaters, zeigt die Geschichte des Mohren und Statthalters von Zypern in streng stilisisierten, geradezu eingefrorenen Bildern – wie eine weit entfernte Erinnerung an etwas Fremdes, das nur in der Musik nah kommen kann.

Mit dem Auftakt zielt die Regisseurin auf das schreckliche Ende: Während im Vordergrund die Zyprioten den Sieg Othellos über die Türken verfolgen, wird das Bett angestrahlt, auf dem Othellos Gattin Desdemona erwacht: Es ist mit goldenem Tuch wie ein Sarg drapiert. So ist das tödliche Ende dem triumphalen Auftakt eingeschrieben.

Die Inselbewohner selbst sind keineswegs Vorposten einer höheren Kultur, sondern ein düsteres Rocker-Völkchen. Und Jago, der die Intrige gegen seinen Chef ausheckt, ist ein rot angestrahlter Mephisto, ein Teufel in Gründgens-Nachfolge. John Rath gibt diesen Jago mit druckvoller Stimme und äußerst beweglichem Spiel: Er ist der abgefeimte Strippenzieher, Othello kaum etwas anderes als seine Marionette. Ivar Gilhuus verkörpert zwar die Schwere des Feldherrn, aber welche inneren Erschütterungen Othello zerreißen, das macht Gilhuus kaum sichtbar.

Solfaghari lässt das gesamte Geschehen auf einer mehrfach gestuften Plattform spielen, deren Ebenen mittels kleiner Treppchen und Podeste verknüpft und aufgebrochen sind. Auch der intimste Ort – Desdemonas Schlafgemach – atmet Eiseskälte. Hier findet die junge Sängerin Eva Dimitrova vollständig zu ihrer Rolle. Sie ist der gute Engel, der seinen Tod vorausahnt. Ihre Stimme entfaltet beim Marien-Gebet jene souveräne Schlichtheit und all den Schmelz, der diesen Schluss gegen die Kälte der statischen Bilder anrührend intensiv macht.

Auch Deutschlands kleinster Opernchor ist bestens in Form. Und das Städtische Orchester, das unter Leitung von Stephan Tetzlaff immer besser wird, arbeitet die heftigen dramatischen Spitzen der Musik ebenso differenziert heraus wie es die lyrischen Partien entfaltet.

Bremerhavens neuer Othello, nach der bewegten Inszenierung von Johannes Felsenstein vor einem Jahrzehnt: Das ist ein gefrorener Bilderbogen, den die Musik ganz langsam auftaut.

Hans Happel

Weitere Vorstellungen: am 28. Dezembner sowie 2., 6., 8., 16. Januar