Klage einer Anwältin

Shirin Ebadi zu Gast in Deutschland: Nicht der Islam, sondern das Patriarchat entwürdigt die Frauen im Iran

KÖLN taz ■ Ihre Worte wirft sie mit den Händen in den Raum, als hätte sie brennende Streichhölzer zwischen den Fingern, die sie zu verletzen drohten. Alles, was sie sagt, muss gesagt werden, keinen Augenblick länger kann sie es für sich behalten. Ihre Worte sind ungeduldig, wollen etwas bewirken. Sie drängen dorthin, wo andere sie hören können.

Eine Woche ist die iranische Juristin, Friedensnobelpreisträgerin des vergangenen Jahres, anlässlich des Tages der Menschenrechte zu Gast in Deutschland. Zwischenstation macht sie auch in Köln, wo sie sich schon am Morgen in das Goldene Buch der Stadt eingetragen hat.

Mitgenommen sieht die 57-jährige Frau im schwarzen Hosenanzug nun in den Räumen der Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung aus. An ihren Augenlidern scheint sie schwerer zu tragen als an anderen Tagen. Eine Dame von Soroptimist International murmelt etwas von „pünktlich Schluss“ und „starke Migräne“. Plötzlich wird der Menschenpulk um Ebadi deutlich leiser. Man nimmt Rücksicht.

Shirin Ebadi selbst hält sich nicht an die schonende Lautstärke. Die Situation der Frauen im Iran sei entwürdigend: „Wenn im Iran ein Autofahrer eine Frau überfährt, bekommt die Familie genau halb so viel Schadenersatz, wie wenn ein Mann überfahren wird.“ Ebadi knallt das Glas auf den Tisch. Ein Schwall Wasser springt über den Rand.

Vergleichsweise besser sei die Situation in Europa. Immerhin sei es hier nicht an der Tagesordnung, dass die Präsidentin eines Amtsgerichts zur Sekretärin degradiert werde. Ebadi ist das vor 25 Jahren nach der islamischen Revolution im Iran passiert. Seither arbeitet sie als Anwältin in Teheran. Das Problem aber „ist nicht der Islam, sondern das patriarchalische Denksystem in vielen islamischen Ländern.“

Die erste Muslima, sie sich den Friedensnobelpreis in Oslo abholen durfte, ist eine Frau, die genau das tut, was sie sich vorgenommen hat. Keine Verlängerung gibt es für wissbegierige Gäste und Journalisten. Vielleicht liegt ihre schroffe Unerbittlichkeit aber auch nur am nasskalten Herbst, der der Iranerin Kopfschmerzen bereitet. Energisch bügelt sie das Tischtuch mit den Händen glatt. „Ich freue mich, die Diskussion bei nächster Gelegenheit fortzusetzen“, sagt sie. Eine Menschenmenge hat Ebadi in ihre Mitte genommen und kreiselt aus dem Haus hinaus. Niemand möchte sie verpassen, die nächste Gelegenheit.

CLAUDIA LEHNEN