Slalom für die Seele

Das Südtiroler Ultental ist eine Oase für Skifahrer und Winterwanderer, die den trendigen Massenbetrieb auf den Pisten scheuen. Natur und Natürlichkeit sind der größte Trumpf des Tales, das auf einen sanften Tourismus setzt

von FRANK KETTERER

Geister und andere dunkle Mächte sollen hier ihr schauriges Unwesen getrieben haben, so sehr, dass aus aus dem Südtiroler Val d’ultimo, dem letzten Tal, auf Deutsch schließlich das Ultental geworden ist, das düstere Tal. Das klänge nicht sonderlich einladend, wären die Ultentaler Bergbauern nicht ein Menschenschlag, der sich zu helfen weiß. Auch zur Austreibung der Geister hat er ein probates Mittel gefunden – und einer ganzen Horde von Heiligen Einlass gewährt in seine Schlucht, wovon noch heute die Namen der vier Hauptorte zeugen, die da heißen: St. Pankraz, St. Walburg, St. Nikolaus sowie St. Gertraud. Von Geistern ist heute jedenfalls weit und breit nichts mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil: Wanderern, Naturfreunden und Skifahrern darf das Ultental, eine knappe Stunde Autofahrt von Bozen entfernt, als kleines Paradies gelten.

„Wir empfinden unser Tal nicht als düster“, sagt Sepp Matzoll, ein hagerer Mittsechziger mit grauen Schläfen und sonnengegerbtem Gesicht. Bis vor ein paar Jahren hat Sepp, wie er von allen genannt wird, die Raiffeisenbank des Ultentals geleitet, heute leitet er die Touristen sommers wie winters als Wanderführer durchs sein Tal und hinauf auf die Berge. Kaum ein Fleckchen gibt es, das Sepp noch nicht bewandert hat. Sepp sagt: „Manchmal ist man einen halben Tag unterwegs und begegnet nicht einem Menschen.“

Nun behaupten das ja auch andere Wanderführer aus anderen Gebieten. Im Ultental aber trifft es zu, Sepp lügt nicht. Und man kann das leicht nachprüfen, indem man sich die Schneeschuhe unter die Füße schnallt und sich beispielsweise aufmacht zur Laureiner Alm im Nachbartal, dem Deutschnonsberg, mit dem Ultental verbunden durch einen erst 1998 gegrabenen Tunnel – und den gemeinsamen Tourismusverband. Gut zwei Stunden ist man unterwegs, von der Sonne beschienen und das schneebedeckte Gebirgspanorama von Hochwart (2.627 m), Spitzner Kornigl (2.418 m) und Mandelspitz (2.396 m) im Blick. Auf der Laureiner Alm, 1.770 m hoch gelegen, wird einem ein rustikaler Imbiss gereicht. Und wenn man dann wieder hinabgestiegen ist von der Alm, hat man einen wunderbaren Tag in wunderbar unberührter Natur hinter sich und weiß, was Sepp meint, wenn er schwärmt: „Unser Tal ist eines der schönsten Hochgebirgstäler Tirols“, Deutschnonsberg, die deutsche Sprachinsel, die in das Gebiet der Provinz Trient hineinragt, zählt er da der Einfachheit halber mit. Wie gesagt: Sepp lügt nicht, ab Januar wird er den Touristen das einmal pro Woche höchstpersönlich beweisen, gegen einen Obulus von rund 10 Euro (Alm-Imbiss inklusive) soll das Winter-Wandererlebnis mit ihm dann buchbar sein.

Natur und Natürlichkeit sind der große Trumpf vom Ultental. Fast die Hälfte der Bevölkerung, rund 5.000 Einwohner, lebt auch heute noch von der Landwirtschaft, den Tourismus als Einnahmequelle hat man erst verhältnismäßig spät erschlossen – und auf sanfte Art und Weise, was im Ultental keineswegs nur als Schlagwort missbraucht wird, sondern einen einfachen Grund hat: Bis vor 30 Jahren wurden auf Befehl der italienischen Regierung fünf Stauseen errichtet, die das Tal mehr oder weniger zu einer Großbaustelle hatten werden lassen. Touristen hat das nicht eben angelockt, und während andernorts die Alpen-Tourismuszentren wie Pilze aus dem Boden schossen, verschlief das Ultental diese Entwicklung. So ist vieles noch bodenständig geblieben – ganz im Gegensatz zu den Trendgebieten. „Wir sind glücklich, dass wir aus den Fehlern der anderen haben lernen können“, sagt Walburga Staffler, Chefin des Hotels Alpenhof sowie des Tourismusverbandes. Was das bedeutet, schiebt sie gleich nach: „Wir haben keine fremden Investoren im Tal – und deswegen haben wir nach wie vor alles selbst in der Hand.“ Die Dinge selbst in der Hand zu haben, heißt für die Ultentaler, pfleglich umzugehen mit ihrer Natur. Aus diesem Grund haben sie in ihrem Tourismusleitbild unter anderem festgeschrieben, auch in Zukunft auf Großhotels verzichten zu wollen.

Gemächlich haben sie es im Val d’ultimo auch beim Skifahren angehen lassen. Das Skigebiet Schwemm-Alm, zwischen 1.500 und 2.600 m hoch gelegen, ist – soweit man dies von einem von Liften erschlossenen Skigebiet überhaupt sagen kann – ein Idyll. Die zehn leicht bis mittelschweren Pisten, zwischen 1.000 und 2.500 m lang, werden von nur drei Sesselliften erschlossen; bei einer Liftkapazität von 5.380 Personen pro Stunde sind, schon wegen der verhältnismäßig wenigen Gästebetten im Tal, Wartezeiten dennoch eher ungewöhnlich. Somit liegt auch das alpine Vergnügen weit entfernt vom üblichen Ski-Massentourismus. Da die Pisten allesamt nordseitig gelegen sind, gilt die Schwemmalm als schneesicher. Für die Qualität der Abfahrten wiederum spricht, dass auch die deutsche Frauen-Nationalmannschaft bisweilen hier trainiert.