eine stimme der korrektur: über beschwerden und rügen
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Gelegentlich leitet die Redaktion für LeserInnenbriefe empörte Schreiben an uns weiter. Meist geht es dabei um die Frage, warum die Redaktion, die Korrektur oder wer auch immer einen gravierenden Schreibfehler, eine falsche Metapher oder eine unsinnige Formulierung habe durchgehen lassen.

Nun, wer schon mal von Thema zu Thema springend nach dutzenden Artikeln, tausenden Sätzen, besoffen-schwindlig von zehntausenden Buchstaben, die auf dem Monitor in die richtige Reihenfolge gebracht, hinzugefügt, gelöscht werden müssen, seinen Arbeitstag beendet hat, weiß, warum das so ist.

Bei Londoner Taxifahrern wurde nachgewiesen, dass jener Teil ihres Gehirns, der für das Auffinden von Wegen und Orten zuständig ist, mit der Dauer der Berufsausübung deutlich anschwillt (ein Wege-und-Orte-Gen wurde nicht gefunden).

Wie mag das Gehirn von BerufskorrektorInnen nach zehn, zwanzig oder mehr Jahren aussehen? Eine Freundin meint wohlwollend, dies garantiere flexibles Denken noch im hohen Alter. Mir scheint, es ist eher ein Garant für die Entwicklung einer ausgeprägten Chaosabteilung aus grauen Zellen.

Es gibt andere Beschwerden: Jüngst fragte ein Leser, warum wir spanische, französische, sogar polnische oder tschechische Akzente setzen, aber keine türkischen? Eine berechtigte Frage, spricht doch die größte Einwandererminderheit hierzulande türkisch. „Merhaba arkadasim“, guten Tag, mein Freund, antwortete ich dem Leser – inkorrekt, da ich weder das türkische „sche“ noch das „i ohne Punkt“, das etwa wie das e in Bulle ausgesprochen wird, setzen konnte. Das selbst entwickelte Redaktionssystem der taz verfügt über keinen türkischen Zeichensatz, sodass die in Redaktion und Korrektur durchaus vorhandene Türkischkompetenz nicht zur Anwendung kommen kann. Affedersiniz! Entschuldigen Sie bitte!

Aber die meisten Rügen kommen immer noch von unserem Rechtschreibprüfungsprogramm – darunter viele unberechtigte. Das Wort „islamophob“ markiert es beispielsweise als falsch. Bei „Islamkritiker“ oder „Provokateur“ in Verbindung mit „van Gogh, Theo“ macht es dagegen keine Zicken. Merkwürdig, denn dieser nach 9/11 vom Antisemitismus zur Islamfeindlichkeit konvertierte Niederländer wollte nicht kritisieren, sondern rassistisch gegen Muslime aufwiegeln (= provozieren). Er half dem Rechtspopulisten Pim Fortuyn beim Redenschreiben und befand, prügelnde Männer seien für einige Frauen durchaus attraktiv.

Aber das kann ein Programm zur Rechtschreibprüfung natürlich nicht wissen.

          ROSEMARIE NÜNNING