Die Super-Sozialarbeiter

Manager haben in Deutschland ein übles Image. Jetzt wollen sie Reputation zurückgewinnen – die eigene und die der Firmen. Mit einer alten Strategie: soziale Verantwortlichkeit zeigen

VON CHRISTIAN SEMLER

Die Jobs sind unsicher – und das nicht nur in den Werkshallen. Die Angst und Verzagtheit kriecht jetzt hoch in die deutschen Chefetagen. Wo ist das kraftstrotzende Ego der deutschen Manager geblieben, ihre Ziel- und Zukunftsgewissheit? Ein Blick in die Dezember-Ausgabe des Manager-Magazins, des Selbstverständigungsorgans der ökonomischen Machtelite, unterrichtet uns über den Seelenzustand weiter Teile des Führungspersonals. Über einem Foto, das ein ziemlich mitgenommenes Schiffchen inmitten der tobenden See zeigt, ist die Artikelüberschrift zu lesen: „Kurs halten – aber welchen?“. Eine platte Metapher, aber wirkungsvoll.

Unsicherheit allerorten, so die Diagnose. Statt wagemutiger Investitionen, riskanter Firmenübernahmen heißt es: Lieber Aktien zurückkaufen und Dividende zahlen, damit der Aktienkurs gestützt wird. Fast glaubt man sich in eine quälende Selbstsezierrunde des taz-Kollektivs versetzt, wenn man Fragen hört wie diese: Wozu braucht es uns? Was unterscheidet unsere Firma von der Konkurrenz, worin besteht unsere Existenzberechtigung?

Zur mangelnden Entscheidungsfreude trägt entschieden bei, dass sich das öffentliche Image der deutschen Manager gegenwärtig auf einem historischen Tiefstand bewegt. Gewiss, gewiss, auch Umfrageergebnisse wie das jüngste von Emnid, nach dem 70 Prozent der Befragten die Manager für Diebe halten, folgen der Konjunktur. Und seitdem in den 80er-Jahren der Zustandsbericht „Nieten in Nadelstreifen“ einen durchschlagenden Erfolg erzielte, hat das Ansehen der Manager auch wieder bessere Tage gesehen. Auch gilt es zu berücksichtigen, dass in Deutschland noch lange Zeit das Bild des ebenso weitsichtigen wie patriarchalisch fürsorgenden Unternehmers vorherrschte, auch dann noch, als diese Spezies bereits im Aussterben begriffen war. Sodass die Manager sich Erwartungen gegenübersahen, die sie weder erfüllen konnten noch wollten. Die Fallhöhe war entsprechend groß. Aber einiges spricht dafür, dass diesmal die Gefallenen eine ganze Weile am tiefsten Punkt des Jammertals hängen bleiben. Dafür haben neben vielen anderen Herr Esser gesorgt und der freigiebige Herr Ackermann.

Tobt sich angesichts der im Fall Mannesmann/Vodaphone bewegten Summen Sozialneid der Massen aus? Keineswegs, dafür ist der Abstand zum Manager-Parnass zu groß. Neidisch ist man nach der Einsicht der Soziologen nur, wo irgend vergleichbare Sachverhalte vorliegen. Es geht um maßlose Gier, genauer gesagt um den „Zyklus der Gier“, der zwischen den deutschen Managern, vor allem aber zwischen ihnen und ihren besser gestellten amerikanischen Kollegen tobt. Und Gier ist ein Kardinallaster, auch in der entchristlichten Welt.

Wie Abhilfe schaffen, wie das Bild des inkompetenten, dabei aber auch noch selbstsüchtigen Spitzenverdieners aufhellen, der, den Blick starr auf den Aktienkurs geheftet, sich keinen Deut um das Schicksal der Beschäftigten, geschweige denn um das Elend der Welt kümmert? Ein Zauberkürzel macht jetzt die Runde im Wirtschaftsteil der Tageszeitungen. Ihm wurde letzten Oktober ein ganzer Kongress an der Humboldt-Uni gewidmet. Es lautet: CSR, für Corporate Social Responsibility. Sprich, die Verantwortlichkeit großer Firmen fürs große Ganze.

Auch CSR unterlag der Konjunktur. In den späten 60er- und den 70er-Jahren, als erst linke, dann ökologisch orientierte Bewegungen vorübergehend an Einfluss gewannen, wurde die Forderung nach Sozialbudgets populär. Je nach Berechnungsmethode wurden Gewinn/Verlust-Rechnungen nach erbrachten bzw. unterlassenen Leistungen aufgestellt oder man stellte Zielvorgaben dem tatsächlich erreichten Stand gegenüber. Als dann die Offensive der Neoliberalen einsetzte und „The business of the business is the business“ zur Leitlinie wurde, geriet der Großversuch in Vergessenheit – um Ende der 90er-Jahre wieder aufzuleben, diesmal allerdings unter gewandelten Vorzeichen.

In der einschlägigen Literatur unterscheidet man zwischen dem image eines Unternehmens, als dem von ihm produzierten Selbstbild, und der reputation, also dem Bild, das die Öffentlichkeit von dem Unternehmen hat. Das Optimum wäre dann erreicht, wenn beide Faktoren übereinstimmen. In den Zeiten, als der Shareholder-Value triumphierte, die Aktienkurse nach oben gingen und sich mancher „Analist“ die Deutschen als ein Kollektiv von Aktienbesitzern erträumte, war dieses Manöver nicht allzu schwer zu bewältigen. Dann aber, nach der Krise im IT-Sektor und der weltweiten Rezession, begannen die „Stakeholder“, das heißt die Gesamtheit der von der jeweiligen Firmenpolitik Betroffenen, wieder aufzuwachen.

Stakeholder waren auch die Netzwerke der NGOs, die menschenrechtliche und ökologische Anliegen vertraten. Hier zeigte sich ein Wandel in der Einstellung der Konsumenten in den entwickelten kapitalistischen Ländern, der sich, das ist das Neue, von Jahr zu Jahr vertieft. Für den Kaufentscheid ist nicht mehr nur die eingeführte Produktmarke entscheidend, sondern auch die Umweltverträglichkeit der Produktion wie des Produkts, die Bedingungen, unter denen es hergestellt, wie viel Lohn bezahlt wurde. Wurden bei Produktionen in der Dritten Welt und in Osteuropa Mindeststandards eingehalten, wurde gewerkschaftliche Organisation erlaubt, wie hielt es das Unternehmen mit der Kinderarbeit bei Sub-Kontrakten?

Eine gefährliche, schwer fassbare neue Macht ist aufgetaucht: die Sanktionsmacht der Produzenten. Die erfolgreichen Boykottmaßnahmen gegen Shell im Fall von „Brent Spar“ bilden hier das Wegzeichen. Dem großen Triumph folgen viele kleine. Die NGO „Clean Clothes“ verbrennt auf dem Flughafen Schiphol die Büstenhalter der Firma „Triumph“ und erzwingt die Einhaltung von Standards in Birma. Auch Nestlé und Henkel weichen dem Verbraucherdruck. Neuerdings verhandeln führende Sportwarenhersteller gemeinsam mit den chinesischen Stellen, um ebendiese Standards durchzusetzen.

Die Vorstände großer Unternehmen beginnen jetzt, die Konsequenzen zu ziehen. Shareholder-Value wird nicht mehr gegen Stakeholder-Value ausgespielt, das „Reputation Management“ avanciert zum integralen Bestandteil der Geschäftspolitik. Die Unternehmen stehen nicht nur unter dem Druck von NGOs, sondern auch unter dem von Wertpapierfonds, die eine „ethische Komponente“ aufweisen. Auch Rückversicherungen drohen mit der Erhöhung von Prämien, falls keine Katastrophen-Prophylaxe betrieben wird. Und vor allem: im Fall von „Responsibility“ – Verantwortung – und „Corporate Citizenship“ winkt ein Distinktionsgewinn auf dem Weltmarkt, der um so wichtiger wird, je mehr sich die Produkte gleichen.

Können CSR und ähnliche Unternehmungen den tiefen Fall der Manager in Deutschland bremsen, ihnen gar, qua Übertragung positiver Firmeneigenschaften auf Führungskräfte, zu einigen menschlichen Zügen verhelfen? Lässt sich die Reputation von DaimlerChrysler und seines Chefs Jürgen Schrempp verbessern, wenn er sich – immerhin schon Bambi-gekrönt – für den Kampf gegen Aids in Südafrika engagiert? Daran ist zu zweifeln, schon deshalb, weil Reputationsgewinne erst auf lange Sicht winken, das Image hingegen schnell zerstört ist. Den Koch in Armenküchen spielen, demonstrativen Gehaltsverzicht üben, sich leutselig in der Werkskantine blicken lassen, mit dem Fahrrad ins Büro? Es gibt viel zu tun für die Image-Pflege!