: Semantisches Freistilringen
DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER
Wie kommt es, dass aus dem „Ruheraum“ Deutschland, der auch Mohammed Atta Zuflucht bot, über Nacht eine Gefahrenzone wurde? Henryk M. Broder Spiegel-online
Die Frage ist berechtigt. Sie lässt sich auch beantworten, obwohl es natürlich wirkungsvoller ist, sie in rhetorischer Form im Raum stehen zu lassen und ins Beben hineinzulauschen, das sie im Publikum erzeugen soll. Die Antwort ist von ergreifender Schlichtheit, wenn auch nicht im Sinn des Fragestellers: Deutschland wird immer mehr zur Gefahrenzone, weil das Reden über den Terror, seine Urheber und Ursachen und die Notwendigkeit, ihn zu bekämpfen, allmählich gemeingefährlich wird.
Mit dem „Reden über etwas“ befinden wir uns im Reich der öffentlichen oder veröffentlichten Meinungen, die sich schnell zu Stimmungen, Erklärungsmodellen und Wirklichkeitskonstruktionen verdichten. Wir könnten dieses Reden im konkreten Fall getrost als alarmistisches Geschwätz bezeichnen – hätten wir es dabei nicht mit einer explosiven Mischung zu tun, die unser Gemeinwesen in eine ganz reale Schieflage bringen kann.
Der vorläufige Höhepunkt fand am letzten Donnerstagabend statt, als das ZDF in seiner aus Spielfilmszenen, fiktiven Nachrichtenschnipseln und Expertenrunden zusammengesetzten Horror-Doku „Tag X – Terror gegen Deutschland“ viel Sprengstoff, wild telefonierende Polizeibefehlshaber und panisch agierende Statisten verbrauchte, um uns eine einzige Botschaft einzutrichtern: Die noch immer nicht volldigitalen Kommunikationssysteme der Sicherheitsbehörden, die mangelhaft ausgerüsteten ABC-Waffen-Spürfahrzeuge und die überlasteten Krankenhäuser wären im Fall koordinierter Terroranschläge auf unsere Hauptstadt vollkommen überfordert.
Mit solcher Verlagerung eines komplexen globalen Problems aufs polizeiliche Terrain war die verengte Wahrnehmung vorgegeben, die sich in der anschließenden Runde bei Maybrit Illner fortsetzte. Wie betäubt vom vorangegangenen Albtraum bestätigten der bayerische Innenminister, sein schleswig-holsteinischer Kollege und der Präsident des BKA ebenjenes offenbar gewünschte Bild eines heillosen Kompetenzwirrwarrs, das der Actionfilm zuvor mit seinen Mitteln an die Wand gemalt hatte. Sehr verloren und funktionslos hockte in dieser Runde auch der tüchtige Irak-Korrespondent des ZDF, Ulrich Tilgner, und machte höflich darauf aufmerksam, wie erfolgreich sich die westliche Zivilisation im Irak zurzeit darum bemüht, dem Terror zu neuem Aufschwung und zuverlässigem Nachwuchs zu verhelfen. Das ZDF-Lagezentrum wollte bei den polizeilichen Lösungen und bei den Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern bleiben, Tilgner versank alsbald in Schweigen.
Bei so viel Aufregung wurde dieser Tage eine Mahnung der UN-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour geflissentlich überhört. Zum „Tag der Menschenrechte“, an dem sich die Kriegsherren und Folterknechte dieser Welt ihre Hände in schönen Worten waschen dürfen, hatte sie immerhin erklärt, Freiheit und Sicherheit seien durch den Kampf gegen den Terrorismus bedroht. Die Angst vor dem Terror provoziere Reaktionen, die mit kollektiver Sicherheit nur noch wenig und mit individueller Freiheit gar nichts mehr zu tun hätten.
Mrs. Arbour bezog sich auf die Menschenrechte, die bei uns noch nicht akut gefährdet sind. Aber die Lage könnte sich schnell ändern, wenn sich die intellektuelle Selbstgenügsamkeit weiter ausbreitet, die derzeit den Terrordiskurs in den politischen Talkshows und Magazinen, in Politiker-Statements und manchen Zeitungskommentaren kennzeichnet. Die Fähigkeit, über Ursachen und Wirkung nachzudenken, nimmt offenbar allgemein ab – bei zunehmender Tendenz, die eigene Wahrnehmung zu verengen, Begriffe und Kategorien durcheinander zu bringen, impressionistische Eindrücke und statistische Erhebungen bedenkenlos zu vermischen, bis ein stabiler Bedrohungshorizont das ganze Denken in Beschlag nimmt. Spätestens seit dem Mord an Theo van Gogh hat sich auch in Deutschland in Sachen Islam und globaler Terror, Islamismus und Türkei-Beitritt in die EU ein semantisches Freistilringen durchgesetzt, das es offenbar jedem erlaubt, die Themen und Begriffe so lange durcheinander zu schütteln, bis wir nur noch über Synonyme verfügen.
In dieser Beziehung wurde die geschätzte Alice Schwarzer plötzlich zu einer etwas unheimlichen Schlüsselfigur – und ihre Wanderung durch die Talkshows zu einer Kampagne, deren Folgen noch gar nicht abzusehen sind. Wenn sie predigt, verbündet sich die gerechte Empörung über die Unterdrückung der Frau in vielen muslimischen Ehen schnell mit der Angst vor vermummten Mudschaheddins und Bin Ladens Flugzeugentführern. Aus der „Parallelgesellschaft“ – endlich haben wir einen Begriff, der Furcht einflößt und gleichzeitig wissenschaftlich klingt! – entspringt alsbald der Kampf der Kulturen, und selbst im Döner-Imbiss um die Ecke lauert im Hintergrund womöglich ein heiliger Krieger.
Auf den politischen Ebenen dominiert ein Integrationsbegriff, der de facto Assimilation meint, aber um diese Wahrheit herumschleicht wie der CDU- Parteitag um den Begriff der „deutschen Leitkultur“: Man umgirrt das Phantom, klebt und schleckt an ihm, spricht das Wort aber noch nicht offiziell aus, solange nicht sicher ist, ob mit ihm Wahlen zu gewinnen sind. Man probiert aber schon mal aus, was darunter zu verstehen ist, und übt sich im Kommandoton: Deutsch lernen und auf die deutsche Verfassung schwören! Und allein die Möglichkeit, dass die Türkei in fünfzehn Jahren der Europäischen Union beitreten könnte, ist für die CSU ein Anlass, vor einem Anstieg von Bandenkriminalität, islamistischer Bedrohung und terroristischer Gefahr zu warnen.
Das Ganze wird überwölbt von einer auf den ersten Blick unsinnigen, doch mit strategischem Kalkül vom Zaun gebrochenen „Patriotismus-Debatte“, deren Frontstellung gegen alles Ausländische nicht zu übersehen ist. Das Gerede gleicht einer Geisteskrankheit, aber es erfasst auch zunehmend das rot-grüne Lager; selbst der Kanzler eignet sich den Begriff vorsorglich an und veredelt mit ihm seine Obsession, massenhaft deutsche Autos und möglichst auch deutsche Waffen nach China zu verkaufen. Derweil fragen sich Teile der sächsischen CDU wohl mit Recht, ob sie nicht eigentlich zur NPD gehören.
Patriotisches Geschwafel allein macht aus der Republik noch keine Gefahrenzone, solange wackere Kirchenleute wie ehedem Gustav Heinemann und heute Kardinal Lehmann ihm widersprechen. Es ist vielmehr die Mischung, die sich hier zusammenbraut – aus Stimmungen und Motiven, die, so wenig sie zueinander zu passen scheinen, plötzlich unheilige Allianzen bilden. Wenn Medien-Alarmismus und intellektuelle Selbstbetäubung, ungenaues Denken und politisch gewollte Begriffsverwirrung Bündnisse eingehen, ist zwar die Demokratie noch nicht bedroht, aber der demokratische Diskurs rutscht auf eine schiefe Ebene. Es wird Zeit, sich dieser Rutschpartie zu widersetzen.
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