Augusto Pinochet ist nicht dement genug

Ermittlungsrichter klagt pensionierten Diktator wegen Mordes und Entführung im Rahmen der Operation Cóndor an und erklärt den ehemaligen General für verhandlungsfähig. Pinochets Anwälte sehen alle Dämme brechen und laufen Sturm

VON INGO MALCHER

Die chilenische Justiz treibt Exdiktatur Augusto Pinochet immer stärker in die Enge. Nachdem Pinochet schon vor wenigen Wochen im Mordfall des ehemaligen Chefs der Streitkräfte seine Immunität abgesprochen bekam und Staatsanwälte Schwarzgeld-Millionen auf seinen Privatkonten suchen, hat am Montag Ermittlungsrichter Juan Guzmán noch einen draufgelegt: Er klagte Pinochet wegen Mordes in neun Fällen an.

Guzmán macht Pinochet verantwortlich für das spurlose Verschwinden von neun Regimegegnern im Rahmen der Operation Condór und den Mord an einer weiteren Person. Die Operation Condór war das Kooperationsgremium der lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 70er-Jahre. Über die Landesgrenzen hinweg tauschten die Regimes Informationen über Oppositionelle aus, ließen sie verhaften und lieferten sie an ihre Heimatländer aus.

Trotz seiner Beteiligung an der Operation Condór war es Pinochet bislang immer gelungen, der strafrechtlichen Verantwortung für die von ihm begangenen Verbrechen zu entfliehen. Bei sämtlichen Ermittlungen berief er sich auf seinen schlechten Gesundheitszustand. Auch im Fall der Operation Condór wurde Pinochet Ende September von drei Neurologen untersucht, die herausfinden sollten, ob der 89-Jährige geistig dazu in der Lage sei, einem Strafprozess zu folgen. Bereits vor einigen Jahren hatten Ärzte bei Pinochet Altersdemenz attestiert und ihn so vor einem Mordprozess bewahrt. Auch dieses Mal legten zwei der Neurologen den Schluss nahe, Pinochet sei nicht verhandlungsfähig.

Doch das letzte Wort hatte der Ermittlungsrichter Guzmán. Und der entschied: verhandlungsfähig. Guzmán hat nicht nur die ärztlichen Gutachten studiert, sondern auch die Protokolle eines Verhörs vom September dieses Jahres sowie ein Interview, das der pensionierte General vor etwa einem Jahr einer Journalistin gab. Nach der Lektüre kam Guzmán zu dem Schluss: „Pinochet versteht die Fragen“, er könne „zwischen Gut und Böse unterscheiden“ und erinnere sich außerdem bestens an die Zeit, zu der er befragt wird. Also, so schloss der Richter, kann Pinochet auch einem Mordprozess folgen.

Diese Entscheidung könnte für Pinochet weit reichende strafrechtliche Konsequenzen haben. Auch im Mordfall des einstigen Chefs der Streitkräfte und im Fall seiner Schwarzgeldkonten berief sich Pinochet stets auf seine Demenzkrankheit. Doch wenn Pinochet gesund genug ist für einen Prozess, dann auch für mehrere.

Kein Wunder also, dass seine Anwälte schweres Geschütz auffahren, um einen Pinochet-Prozess zu verhindern. Auch wenn der Termin noch nicht feststeht, kündigten sie schon jetzt an, vor das Berufungsgericht zu ziehen, um einen Prozess zu verhindern. Sein Anwalt Pablo Rodríguez Grez sieht in dem Verfahren gegen Pinochet eine „Verletzung der elementarsten Menschenrechte“, da sich Pinochet in dem Verfahren nicht verteidigen könne.