LEIPZIG UND OLYMPIA: DAS KOMMUNIKATIONSDESASTER DES JAHRES
: Nicht Brot, sondern Spiele

Zuletzt gingen die Leipziger sogar auf die Straße. Hier, wo vor 14 Jahren der Anfang vom Ende der DDR erzwungen wurde, gab es wieder Montagsdemos, Montagsgebete. Nur: Diesmal ging es nicht um Demokratie. Sondern um Spiele.

Was für ein demokratisches Missverständnis: Die deutsche Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012 darf getrost als Kommunikationsdesaster des Jahres 2003 bezeichnet werden. Auf wundersame Weise illustriert sie den Zustand unseres Landes. Statt in einer Chance eine gemeinsame Chance zu sehen – und diese zu ergreifen –, wird sektiert, was das Zeug hält. Etwa Michael Vesper. Dass Leipzig – und nicht das Ruhrgebiet – den Bewerberstatus zugesprochen bekam, ist für den grünen Landesminister „die Enttäuschung des Jahres“. Ist doch klar, dass Nordrhein-Westfalen die Sache nichts mehr angeht. Der Bauchnabel reicht bis Höxter. Leipzig gehört zu einem anderen Körper.

Zustandsbeschreibung Nummer zwo: Nach wie vor versteht der Westen nichts vom Osten. Zweifelsfrei waren Wachsoldaten in der DDR unbeliebt. Kaum jemand im Osten käme aber auf die Idee, einen Wachsoldaten in Stasi-Spitzel-Nähe zu verorten – auch wenn das Wachregiment dem MfS unterstellt war. Genau das aber widerfuhr Dirk Thärichen, Exwachsoldat und nun auch Exchef der olympischen Bewerbergesellschaft.

Aspekt Numero drei: Ostdeutscher Provinzialismus. Mag ja sein, dass sich die Leipziger rühmen können, schon einmal die Welt bewegt zu haben. Doch bei der Olympia-Bewerbung geht es nicht darum, ein System wegzuputschen, sondern geeignete Strukturen zu schaffen und professionell vorbereitet zu sein. Dafür braucht man erfahrene Manager. Dass ein 34-jähriger Exwachsoldat oder ein Beigeordneter aus dem Leipziger Rathaus möglicherweise nicht über die notwendige Qualifikation verfügen – diese Erkenntnis hat sich in Leipzig erst nach äußerem Zwang durchgesetzt.

Befinden Numero vier: Zuerst komm ich und dann lange nichts. Ein Auftrag an einen alten Kumpel hier, eine nette Provision da – lustvoll illustrierten die Akteure dies. Und lustvoll zeigen wir auf die Ertappten. Um dann selbst das romantische Abendessen mit der Freundin als „Arbeitsbesprechung“ bei der eigenen Steuererklärung abzurechnen. Was natürlich eine ganz andere Dimension besitzt.

Leipzig habe sowieso nur Außenseiterchancen, heißt es landauf, landab. Solange sich Leipzig um die Olympischen Spiele 2012 bewirbt, ist das natürlich richtig. Die Chancen würden aber schlagartig steigen, wenn aus der Leipziger Bewerbung eine deutsche würde. Die Frage ist nur: Ist dieses Land in diesem Zustand dafür schon reif? NICK REIMER