Keine orangene Nacht

Ukrainische Studierende luden zur Podiumsrunde nach Bochum. Die wenigen Gästen hörten dann Verschwörungstheorien aus der Ost-Ukraine

Einige Lageberichte sparten nicht mit Verschwörungs-Vermutungen

AUS BOCHUMHOLGER ELFES

Die Revolution in Kiew ist im Ruhrgebiet kein Renner: Nur ein Dutzend ZuhörerInnen und DiskutantInnen wollten sich am Dienstag in Bochum über die Ukraine informieren. Doch vielleicht hatten die Ferngebliebenen auch etwas geahnt: Die von ukrainischen Studierenden veranstaltete Diskussion war geprägt von der gleichen tiefen Zerrissenheit, die auch die Ukraine bestimmt. Der bipolare Ausnahmezustand nach den Präsidentschaftswahlen setzte sichan der Ruhr-Universität fort.

Nur die aus Kiew stammende Slawistin Anna Olshevska versuchte sich an nüchternen Erklärungen für die Lage in der Ukraine: Das Land sei weiterhin auf der schwierigen Suche nach seiner Identität. Die sei für die 50 Millionen UkrainerInnen schon deshalb „verschüttet“, weil nicht alle die ukrainische Sprache beherrschten. Unter den Zaren und den Sowjets wurde das Ukrainische systematisch unterdrückt – immerhin sei dort in den letzten Jahren eine Trendwende eingeleitet worden: „Die Ukrainisierungspolitik hat erste Früchte getragen“, so Olshevska.

Weniger versöhnlich ritt Devi Dumbadses Attacken gegen die Berichterstattung aus und über Kiew. Mit Ausschnitten eines Juschtschenko-treuen Senders versuchte der Medienwissenschaftler zu beweisen, dass die Bevölkerung zugunsten der Opposition manipuliert werde. Was er nicht sagte: Nach wie vor liegt der größte Teil der Medienlandschaft in den Händen des etablierten Regimes. Dumbadse nannteJuschtschenko einen „Neoliberalen“ – immer wieder zog der Georgier Parallelen zum Kaukasus: Vor rund einem Jahr sei es in Georgien – ebenfalls nach manipulierten Wahlen – zum Sturz des Präsidenten Schewardnadse gekommen. Daraufhin sei auch hier die Opposition an die Macht gekommen. Dumbadses Lagebericht sparte nicht mit Verschwörungsvermutungen: Der „Westen“ gebe ein verzerrtes Bild der ukrainischen Realität wieder. Auch Dumbadse verzerrte, sparte die Einflussnahme Russlanda aus und die skrupellose ukrainische Staatsmacht gegen Oppositionelle, die ja vermutlich auch vor einer Vergiftung des populären Gegenkandidaten nicht zurück schreckte.

Vom orangen und gelb-blauen Lager konnte sich auch Andrey Stojkas nicht frei machen – zur Zeit weilt der Stadtverordnete aus Donezk mit einer offiziellen Delegation in Bochum. Stojka bekannte sich – wie die Mehrheit der Ost-Ukrainer – zu Janukowitsch. Weil der industrialisierte Osten 84 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschafte, wolle man auch etwas zu sagen haben, so der Stadtdeputierte. Die Dioxin-Vergiftung des Oppositionsführers Juschtschenkos durch Staatsorgane bestritt Stojka: „Wenn unsere Geheimdienste so etwas gewollt hätten, wäre Juschtschenko längst tot“. Zudem stammten die medizinischen Gutachten ja „nur“ von westlichen Ärzten aus Wien.

Viel zu wenig Platz blieb in der Ruhr-Universität für differenziertere Argumente. Wenigstens in einem waren sich die Streithähne einig: Weder Juschtschenko, der von 1999 bis 2001 als Ministerpräsident Teil des Systems war, noch Janukowitsch würden einen Durchbruch zur Demokratie bringen können. Aufgrund der tiefen Spaltung des Landes liege die Zukunft der Ukraine in einer Föderalisierung – mit einer weitgehenden Autonomie für den eher nach Russland orientierten Osten und den nach Europa schauenden Westen der Ukraine.