Jenseits der Norm

Das schleswig-holsteinische Güller-Projekt bekämpft einen Leerstand der besonderen Art: Verwaiste Jauche-Tanks sollen zu Cafés, Gemeinschaftssaunen und Wohnungen umgebaut werden

Im Regelfall gilt ein Güllebehälter nicht als besonders wohnlich. Im Regelfall, das heißt, laut DIN11622, ist „ein Güllebehälter ein Behälter zur Lagerung von Gülle.“ Um Missverständnissen vorzubeugen: „Gülle (auch: Flüssigmist) ist“ in der klaren und deutlichen Sprache des Instituts für Normierung „ein Gemisch aus Harn (Jauche), Kot, Einstreu- und Futerresten sowie Reinigungswasser.“

Jetzt fördert das Innenministerium Schleswig-Holsteins ein Architektur-Projekt der Fachhochschule Kiel, das sich damit beschäftigt, wie aus den Tanks Gemeinschaftssaunen, Ausstellungsräume, Cafés oder eben Wohnungen werden können. 25.000 Euro beträgt die Unterstützung aus dem Regional-Entwicklungs-Programm, und die Sache klingt zunächst vor allem kurios. Sie ist aber vernünftig.

Denn was fehlt, ist eine Norm dafür, was mit einem Güllebehälter passiert, wenn die Produktion von Flüssigmist ausfällt. Das kommt beispielsweise vor, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Tierhaltung aufgelöst wird, und das ist gar nicht so selten der der Fall: Vor zehn Jahren gab es in Schleswig-Holstein noch 21.846 Bauernhöfe, 2003 hat das Statistische Landesamt nur noch 18.672 gezählt. Die Folge: Tausende Tanks stehen in der Gegend herum und riechen noch ein bisschen nach Landleben.

Verfallen tun sie allerdings so gut wie gar nicht: Vorgeschrieben ist „Beton mit hohem Frostwiderstand mindestens der Festigkeitsklasse B25“ und eine „Bewehrung aus geripptem Betonstahl nach DIN 468 Teil 1“, was die Abrisskosten extrem in die Höhe schnellen ließe und den Architekten David Simon aus der 300-Seelen-Gemeinde Lammershagen zu der Prophezeiung verleitet, dass „die auch noch in 100 Jahren nicht weg sind“.

Simon begreift das als Chance: Schon früh hat er sich Gedanken darüber gemacht hat, wozu denn so ein Güllebehälter noch dienen kann. Ein paar seiner Ideen, die den Anstoß für das Kieler FH-Projekt gaben, hat er auch realisiert: Geruchsprobleme? Da hat die Norm vorgesorgt, die Gülle auf Beton allenfalls „einen schwachen chemischen Angriff“ gestattet. „Die Reinigung ist ganz leicht“, bestätigt der Architekt, „das geht per Dampfdruck.“ So ist im Dörfchen Blunk bei Segeberg bereits 2001 ein schicker Bungalow entstanden.

Martin Stahlberg, der die Wohnung von seinem Vater übernommen hat, schwärmt auch nach einem Jahr im Tank: „Die runde Form“, sagt der Yoga-Lehrer, „bietet architektonisch so viele reizvolle Möglichkeiten.“ Es sei ja kein Zufall, das die meisten Naturvölker rund gebaut haben. Früher wohnte er in einer Doppelhaushälfte nebenan. Den Umzug hat er „noch nie bereut“. Und „jeder, der schon ’mal drin war, ist begeistert“. Nur ganz am Anfang, da habe es doch eine gewisse Hemmschwelle gegeben. Und im Ort selbst, wo immerhin zwei Tanks leer stehen, hat sich noch kein Nachahmer gefunden.

Vielleicht schaffen ja die 25.000 Euro aus Kiel und die ministerielle Unterstützung Abhilfe. Bislang sind bei den Bauern laut David Simon die Vorbehalte wirklich noch recht ausgeprägt. „Die interessieren sich schon dafür“, sagt er, „und finden das auch gut.“ Aber den eigenen Güllebehälter umgebaut habe trotzdem noch keiner von ihnen.

Benno Schirrmeister