Tief im Westen – Eine Stadt versinkt im Blues

Die Bochumer Opel-Mitarbeiter nehmen den Jobabbau mittlerweile merkwürdig teilnahmslos hin. Dort, wo seit 1962 tausende Kadetts und Astras vom Band liefen, bleibt nach der Entscheidung von General Motor fast alles ruhig. Einige Betriebsräte werden dennoch „Co-Manager“ geschimpft

„Herbstmeister der Herzen“ ist der VfL Bochum vielleicht. Aber nicht nur, dass die Bochumer in der Bundesliga mit einem bedenklichen 16. Platz in die Winterpause gehen. Ruhrpott-City versinkt im Blues. Zu sehen in der vergangenen Woche, als die Mutter General Motors ankündigte, mit insgesamt 9.500 Stellen ein Drittel der Opel-Belegschaft abzubauen. Den Weg über Beschäftigungsgesellschaften sehen nicht nur Ökonomen „als reine Verschleierungsmaßnahme, mit der Unternehmen und Gewerkschaft den verabredeten Personalabbau bemänteln wollen“. Gestern kündigte der Betriebsrats-Vize seinen Rücktritt an, gleichzeitig wurde klar, dass 2.000 Stellen in Zulieferfirmen ausgelagert werden. Aber dort, wo seit 1962 tausende Kadetts und Astras vom Band liefen, ist mittlerweile jedweder Protest erlahmt.

Donnerstag. Natürlich ist das Fernsehen wieder da. Dick eingemummelte Kameramänner und -frauen frieren bei minus zwei Grad. In einem alten VW-Bulli lesen zwei Beamte gelangweilt Zeitung. Man wartet darauf, dass die Revolution losbricht vor dem Tor I des Opelwerks Bochum – oder zumindest ein klitzekleiner Streik. Vergeblich.

Um elf Uhr tritt der Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn vor das Werkstor. Er sagt, was ohnehin klar war: „Wir haben einen Teilerfolg errungen.“ Hahn hatte zuvor die Belegschaft informiert und gesagt, dass 4.100 der noch 7.600 Bochumer Opelaner das Unternehmen über Abfindungen und Transfergesellschaften verlassen sollen. Die Zahl sorgt für Verwirrung, in Rüsselsheim hatte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz von einem Verlust von 3.600 Stellen in Bochum gesprochen. Doch egal wie die Zahl lautet, Hahn ist sich sicher: „Wir haben von vielen schlechten Möglichkeiten die Beste erreicht.“

Die Abfindungen für abwanderungswillige Opelaner werden „über dem Standard in der Industrie liegen“, verspricht Hahn. Genaue Zahlen nennt er nicht. Später wird in Rüsselsheim vorgerechnet, dass Arbeiter nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit bis zu 200.000 Euro erhalten sollen. „Jeder kann jetzt für sich entscheiden, was er tut“, sagt Hahn.

Begeistert aufgenommen haben die Opelaner die Botschaft ihrer Verhandlungsführer dennoch nicht. „Keiner hat Hurra gerufen“, berichtet Hahn. Sein Betriebsratskollege Lothar Marquardt wird deutlicher: „Die Belegschaft ist gespalten“, sagt er. Ob er zufrieden sei? „Das kann ich nicht sagen. In meiner Brust schlagen zwei Herzen: Wir retten den Standort, aber verlieren Kollegen“, sagt der bärtige Mann.

Zumindest die Politiker sind rundum zufrieden mit der Lösung für Opel. „Das ist eine gute Nachricht für Bochum“, sagt Oberbürgermeisterin Ottilie

Scholz (SPD). „Das ist ein gutes Zeichen für den Standort Bochum“, sagt Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Nur der NRW-CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers hat sich diesmal zurückgehalten und das Ergebnis nicht wie die diesjährige Siemens-Einigung in Bocholt und Kamp-Lintford als „patriotischen Akt“ bezeichnet.

Überhaupt nicht mit dem Ergebnis abfinden will sich Jürgen Rosenthal. Im Oktober hat der 35-Jährige als Streik-Sprecher sieben Tage vor dem Werk gestanden und ist dafür abgemahnt worden, gleich dreimal. Nun hat er Urlaub und ist trotzdem da. Das Ergebnis ist in seinen Augen ein Unding, die Betriebsräte „Co-Manager“. Im Werk II gehe es heiß her, berichtet Rosenthal, die Kampfbereitschaft sei noch da. „Vielleicht stehen wir ja Weihnachten wieder vor dem Tor.“

Klaus Jansen