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Unzeitgemäß lächeln

In einem Satz von Niklas Luhmann zu Big Brother und wieder zurück: Sten Nadolny und Norbert Bolz versöhnen im Sparkassenhaus die Literatur mit dem Alltag

Auch Sten Nadolny tut es. Hin und wieder gibt der Autor, der einst mit seinem Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ ein Manifest der Entschleunigung verfasste, seinen eigenen Namen in die Suchmaschine Google ein. „Ich muss schließlich überprüfen, welche Meinungen über mich gerade in Umlauf sind“, sagt Nadolny mit dem feinen Lächeln desjenigen, der auf Meinungen selbstverständlich nicht viel gibt.

Die Frage „Lieber Zeitung oder lieber Bücher lesen?“, die an diesem Abend auf Einladung des Kulturfonds der Sparkasse im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Literatur & Alltag“ diskutiert wird, kann zumindest Sten Nadolny recht eindeutig beantworten. Die Wirklichkeit, wie sie durch die Presse, das Fernsehen oder das Internet vermittelt wird, sei nicht seine Welt. „Die Menschen müssten mich eigentlich hassen“, stellt er angesichts seines mangelnden Trendbewusstseins fest und bekennt, „zum Beispiel noch nie Ayurveda auf Sri Lanka“ gemacht zu haben. – „Aber Sie wissen natürlich, was das ist“, erwidert ihm zu Recht sein Gesprächspartner, der Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Eine geistreiche Unterhaltung besteht heute nun einmal überwiegend aus koketten Verweisen auf die Massenkultur. Witz und Bildung zeigt, wer in einem Satz von „Big Brother“ zu Niklas Luhmann und wieder zurückkommt.

Norbert Bolz selbst beherrscht diese Kunst meisterhaft. „Ich bin in dem Jahr geboren, in dem die ARD gegründet wurde“, leitet er die Bemerkungen zu seinem eigenen, offenbar maßlosen Fernsehkonsum ein. „Ganz im Ernst“ sieht er im Fernsehen eines der wichtigsten Medien für soziale Lernprozesse: „Man erfährt alles, was man über die Welt wissen muss.“ Obwohl Bolz befriedigt feststellt, dass es längst kein „Leitmedium“ mehr gibt, schon gar nicht in Form eines gebundenen Stapels Papier, kann er sich mit Sten Nadolny trotzdem darauf einigen, dass man, wenn man „die Welt wirklich kapieren will“, allein auf Bücher angewiesen ist. Diese weit verbreitete Sehnsucht nach einer Versöhnung von Literatur und Alltag, die schon im Einladungstext zur Veranstaltungsreihe mitschwingt, befriedigt Sten Nadolny mit seinen betont unzeitgemäßen Anmerkungen genauso wie Norbert Bolz – der auf die Frage nach einer prägenden Leseerfahrung in seiner Jugend Fritz Walters „3:2“ anführt und gleich darauf Novalis zitiert.

Zuletzt geht das intelligente Geplauder im Sparkassenhaus dann nahtlos in die zeitlose bildungsbürgerliche Geräuschkulisse aus klirrenden Weingläsern und dezenter Jazzmusik über, und während das Buffet immer wieder aufs Neue mit herzhaften Kanapees bestückt wird, erklärt eine nicht mehr ganz junge Frau dem Mann neben ihr, dass sie für das gemeinsame Kulturprogramm immerhin die letzte Folge von „Sex and the City“ verpasst habe. Dass ihr Begleiter nicht einmal andeutungsweise versteht, wovon sie eigentlich spricht, macht ihn vermutlich zum dümmsten, gleichzeitig aber auch zum beneidenswertesten Menschen dieses Abends.

KOLJA MENSING

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