Schreiben ist Schweben

Prunksters (12) – die wöchentliche Kolumne aus den USA von Henning Kober. Heute: Begegnung mit Dr. Dodge

Er ist ein scheues Wesen. Immer noch versuche ich ihm nicht direkt in die Augen zu schauen, aus Angst, das könnte verletzen. In seinem Gebaren Gefühle zu lesen ist wie der Versuch, den Anfang eines Regenbogens zu entdecken. Leicht verteilt er Zuneigung nur mit geschenkten Zigaretten. „Möchtest du rauchen?“, ist lange Zeit sein meist gesprochener Satz.

Wir trafen uns zum ersten Mal vor Ewigkeiten, es war meine erste Woche in New York. Zufall setzte uns zusammen in den Kofferraum eines Ford Explorer. Der unbekannte Fahrer raste begeistert vom Spiel mit dem Turbolader zurück von einer zerstörten Party am Flughafen nach Manhattan. Er, neben mir, trug die Maske, die er immer trägt. Der Kopf verhüllt von einer Pelzmütze, die Augen geschützt durch schwarze Gläser in pinker Fassung. Stillstarr schauten wir durch das Heckfenster in die von den Lichtern des Long Island Expressways orange glühende Luft.

Im Stau auf der Brooklyn Bridge legte er kurz seinen Hand um meinen Fußknöchel. Sie war kalt wie Wasser im Winter. Seit dieser Nacht sahen wir uns immer wieder auf der Straße. Oft war er in seltsamer Eile. Dann fragte er nur: „Magst du eine Zigarette“, und verschwand. Manchmal rauchten wir auch, gegen eine Hauswand gelehnt, und beobachteten die Pfeife paffenden Mädchen auf der Bedford Avenue. Jetzt ist er wie verwandelt. Er trägt einen neuen Namen. Der ist mit einem Pin an die Brust geheftet: „Dr. Dodge“.

Er redet leise und schnell: „Das Feuer hat mich geheilt.“ Sein Vermieter hat warm saniert. Das neue Zuhause ist ein Hotel, St. George in Brooklyn Heights: „Lange wollte ich Falsches“, Freunde, ein Film, eine Factory: „Man muss sprechen können, aber nach einer Stunde habe ich schlimme Schmerzen.“

Er lädt mich auf sein Zimmer. Es ist ein gewaltiger Bau aus dem 18. Jahrhundert. Marilyn Monroe hat hier gewohnt, dann kam Crack, heute Studenten. 10.000 Dollar im Jahr, für New York ist das gut. Und jetzt? „Ich schreibe. Schreiben ist Schweben.“

Vor dem Fenster schwarzer Stoff. Licht kommt von einem Computermonitor, über den sich wilde Wellen schieben. Der Trick ist ein Programm von Apple. Es zeichnet, abhängig von der Musik, psychedelische Figuren: „Nico ist wie LSD.“ Es inspiriert ihn beim Schreiben. Science-Fiction über Tiere. Ich glaube, Dr. Dodge wird ein Großer. Vielleicht werden wir Freunde. Nach einer Dreiviertelstunde bin ich weg.