Ist Italien noch eine Demokratie?
Ja

SYSTEM BERLUSCONI Er kontrolliert ein Geflecht von Medien, Politik und Wirtschaft. Seit einem Jahr ist Silvio Berlusconi zurück an der Macht

Eckart von Klaeden ist außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Sicherlich ist Berlusconis Stil nach dem Abgang von Gerhard Schröder ein wenig aus der Mode gekommen. Und er ist auch zu Recht für seinen Umgang mit der Justiz kritisiert worden. Manche Äußerung von ihm ruft bestenfalls Kopfschütteln hervor. Die Tendenz in Italien, immer mehr auf Notstandsregelungen zurückzugreifen, weil sich Probleme im unübersichtlichen Normendickicht mit einem kostspieligen, aber ineffizienten Staatsapparat nicht mehr lösen lassen, ist ein die politischen Lager übergreifendes Phänomen. Aber: Berlusconi ist demokratisch wiedergewählt worden, auch aus Enttäuschung über das Mitte-links-Bündnis unter dem Regierungschef Prodi: Der Olivenbaum hatte seine Blätter verloren. Deswegen: Italien ist selbstverständlich eine Demokratie. Und in der Frage schwingen in Italien altbekannte teutonische Vorurteile mit, die uns dort nicht beliebter machen.

Petra Reski ist deutsche Journalistin und Schriftstellerin. Bekannt wurde sie durch ein Anti-Mafia-Buch.

Ich sage: Ja. Auch weil ich spüre, dass sich hinter einer solchen Frage ein Blick verbirgt, den ich nur schlecht ertragen kann, ein Blick, der von der hohen deutschen moralischen Warte schräg nach unten fällt: Die kriegen das einfach nicht hin, die Italiener, tss, tss. Nun regiert in Italien seit sechzig Jahren die Mafia mit. Sie arrangiert sich mit Rechts wie Links, mit dem Vatikan, mit Fiat und den Gewerkschaften. Ein Wunder, dass Italien überhaupt noch zuckt. Dass es rebelliert, auf die Straße geht und „Leckt mich am Arsch“ schreit, Unterschriften gegen vorbestrafte Parlamentarier sammelt. Dass es in Blogs für einen strafversetzten Staatsanwalt kämpft und Richtern, Polizisten und Journalisten gedenkt, die für ihren Demokratie-Glauben ihr Leben ließen. Ein Volk von Unbelehrbaren? Ja. Glücklicherweise.

Paolo Franchi ist innenpolitischer Kommentator der italienischen Zeitung Corriere della Sera.

Ich glaube nicht, dass sich in Italien ein autoritäres Regime abzeichnet. Gewiss stellt sich die Frage der Demokratie, die in unterschiedlichen Formen heute alle europäischen Länder betrifft, hier in schwerwiegenderer Weise. Silvio Berlusconi, der Politik ein wenig durch die Brille des „Padrone“ sieht, beherrscht die Szene absolut: so absolut, dass im Moment sein gefährlichster Gegner nicht die schwache Opposition ist, sondern seine Frau. Ich halte ihn nicht für einen „Sultan“, wie der Politologe Giovanni Sartori behauptet. Aber selbst wenn es so wäre, müssten wir uns fragen, weshalb die große Mehrheit der Bürger eines demokratischen Landes dem Sultanat mit Zustimmung begegnet. Ist das Berlusconis Schuld – oder sein Verdienst? Oder liegt es daran, dass die nicht enden wollende Übergangsphase, die vor fast 20 Jahren mit einer falschen „Revolution“ begann, dem Land nicht die Kultur, die Institutionen, die Parteien einer Demokratie der Alternanz gab, sondern vor allem die Politikverdrossenheit nährte?

Mathis Weselmann studiert zurzeit in Helsinki. Er hat seinen Beitrag auf taz.de veröffentlicht.

Italien hat ein ernsthaftes Problem mit der Gewaltenteilung. Zwar ist die Presse formal nicht die vierte Gewalt im Staate, sie übt aber heute eine zentrale Kontrollfunktion aus. Ist sie wirtschaftlich vom Ministerpräsidenten abhängig, fällt sie in dieser aus. Berlusconi kann nach eigenen Wünschen durchregieren, ohne kritische Berichterstattung fürchten zu müssen. Aber ob nun wie in Italien die Medien, in den USA die Justiz oder in Deutschland die Parlamente von der Regierung abhängig sind: Solange nur einzelne Organe ausfallen, können andere einspringen. Die Situation ist kein Grund, sich zurückzulehnen, aber auch kein Grund zur Panik. Noch ist die Demokratie nicht verloren.

Nein

Hermann Scheer ist Bundestagsabgeordneter der SPD und im Bundesvorstand seiner Partei.

Was in Italien geschieht, vor aller Augen in Europa, ist ein systematisches Schleifen der Institutionen der gewaltengeteilten Demokratie: Das Besondere ist, dass dies unverblümt geschieht und Berlusconi als politischer wie als finanzieller Profiteur dessen immer mehr Zustimmung erhält. Österreichs Haider war harmlos dagegen, auch in seiner postfaschistischen Xenophobie. Berlusconi hat ihn mit der Einbürgerung der italienischen Postfaschisten in seine neue Sammelpartei auch formal getoppt. Der Regierungschef ist klar straffällig geworden – und setzt eine gesetzliche Amnestie für sich durch und obendrein für viele seiner straffällig gewordenen Führungsklientel. Er beschimpft kampagnenmäßig nicht willfährige Richter, um diese kollektiv einzuschüchtern. Dies alles signalisiert eine zermürbte öffentliche Moral, nachdem Berlusconi zum dritten Mal wiedergewählt wurde. Ungeniert kann er sich als machistischer Sexprotz preisen, ohne dass ihm die katholische Kirche die Gefolgschaft aufkündigt. Italien hat keine demokratische Gegenmacht mehr, seit sich die noch vor 20 Jahren stolze KPI einmal einem Selbstverwässerungsprozess ausgesetzt hat. So entstand ein riesiges Vakuum, das von Berlusconi auf seine Art und mit seinen Möglichkeiten gefüllt wurde. Ohne konkurrierende Mächte, die die unterschiedlichen Werte und Interessen in der Gesellschaft inhaltlich repräsentieren, verfällt aber die Demokratie. Überall.

Marco Travaglio ist italienischer Enthüllungsjournalist. Er erhielt im April in Deutschland den „Preis der Pressefreiheit“ des DJV.

Berlusconi plant, mit seiner Mehrheit („die Zustimmung der Opposition brauchen wir nicht“) die Verfassung bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, um die Macht des Premiers – sprich seine eigene – zu stärken. Doch schon jetzt höhlt er die Verfassung und damit die Demokratie mit einer Reihe von Gesetzen aus. Der Artikel 21, der die Pressefreiheit garantiert, ist auf dem Wege, zu einer leeren Hülle zu werden. Die Regierungsmehrheit hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Internetblogs und Websites an die Leine legen soll. Ein weiterer Gesetzentwurf zielt darauf, Journalisten die Berichterstattung über laufende Ermittlungsverfahren zu verbieten. Angesichts der Langsamkeit der italienischen Justiz werden die Bürger dann über Jahre hinweg nichts mehr erfahren von den gravierenden politischen und Finanzskandalen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der Premier fast das gesamte Privatfernsehen besitzt sowie das Gros des staatlichen Fernsehens politisch kontrolliert. Den Rest besorgt das politische Klima, besorgt die kontinuierliche Einschüchterung, besorgen Straf- und Zivilklagen mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe gegen die wenigen Programme, die noch wagen, die Regierung zu kritisieren – und die dafür sorgen, dass vor der Zensur die Selbstzensur erfolgt. Das Resultat: Italien wurde im Jahr 2009 von „Freedom House“ als mit Blick auf die Pressefreiheit „halbfreies Land“ eingestuft.

Concita De Gregorio ist Chefredakteurin der italienischen linken Tageszeitung L’Unitá.

Italien hat seine Demokratie vor gut 60 Jahren unter großen Blutopfern während der Resistenza erkämpft. Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, ihr Bestand sei auf immer gewährleistet: Die Demokratie ist ein kostbares Gut, das eher einer brüchigen Kristallvase als einem Diamanten gleicht. Nichts spräche gegen ihre Erneuerung – wenn ihre Substanz gewahrt bliebe. Doch Erneuerungen bringen immer auch Risiken mit sich: zum Beispiel, dass ein Abenteurer die Demokratie seinen Interessen unterwirft. Berlusconi betrachtet das Parlament als ein lästiges Hindernis; er schlug jetzt gar vor, nur noch die Fraktionsvorsitzenden der Parteien abstimmen zu lassen – ganz so, als seien die Fraktionen militärische Abteilungen. Wenn aber die Bürger sicher sind, demokratisch nicht mehr Einfluss ausüben zu können, haben sie als gangbare Alternative nur einen Weg: den Versuch, als untertänige Höflinge beim Herrscher Zugang zu finden.