Zazous in der Metro

ELECTRO SWING Caravan Palace aus Paris sind die Swing Kids für das neue Jahrtausend. Sie paaren den Gypsy-Swing eines Django Reinhardt mit House-Beats à la Daft Punk

Das Abenteuer begann mit der Musik für einen Pornofilm aus den Zwanzigerjahren

VON ANNA-BIANCA KRAUSE

Man könnte die Krise dafür verantwortlich machen, dass er wieder da ist, der Swing. Schon in den Zwanzigerjahren war er der Soundtrack zur großen Depression – und auch jetzt, nach dem globalen Finanzmarktcrash tanzt man beispielsweise bei den mondänen „Bohème Sauvage“-Partys in Berlin im – wie der Spiegel es nannte – „Depression Chic“ zu Swing. Die Renaissance hat jedoch weniger mit der Untergangsstimmung zu tun als vielmehr damit, dass Swing nur ein Ziel hatte: die Menschen in Bewegung zu bringen. Das macht ihn zu einem direkten Vorfahren der Clubmusik, die auch nur will, dass der Dancefloor kracht.

Caravan Palace sind nicht die Ersten, die den Swing mit Elektronik kreuzen, ihm House und Hiphop unterjubeln und ihn mit Beats und Samples aufmotzen. Doch Charles Delaporte, Hugues Payen und Arnaud de Bosredon, die drei Gründer von Caravan Palace, sind auf einem eigenen musikalischen Breitengrad unterwegs. Schon als Jungs verehrten sie Django Reinhardt, den schnellsten Gitarristen der Welt. Der emotional-fulminante Gypsy-Swing des „Manouche“, wie man die französischen Sinti nennt, beeindruckte die Teenager genauso wie das House-Duo Daft Punk. Also suchten sie eine Tür, die von einem 30er-Jahre-Café in Paris auf einen Dancefloor im 21. Jahrhundert führt. Vom Hot Club de France zum Hot Club de Dance.

Auf der Bühne sieht das dann so aus, dass der DJ ein Trichtergrammofon dabeihat und die gesamte Truppe im Stil der Zazous, der Pariser Swingkids der Dreißigerjahre, gekleidet ist. Hosen und Hosenträger breit, Schiebermützen wie Working Class Heroes – alles passt perfekt zur Musik und in die Zeit, als der Film noch schwarz-weiß und stumm war. Mit dieser Epoche fing das Abenteuer Caravan Palace auch an: Delaporte, Payen und de Bosredon sollten für den TV-Sender Canal+ die Musik für einen Pornofilm aus den Zwanzigerjahren produzieren. Dabei kreierten sie ihren „Electro Swing“ – eine Musik, die sich so anhört, als sei sie aus Gummi.

Auf Originalsamples aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, die sie verwenden, spielen sie mit Geige, Kontrabass, Klarinette, Perkussion und natürlich Gitarre, ganz wie das große Vorbild Reinhardt. In ihrem Dancefloor-Charleston bringen sie Chanson, Klassik, Jazz, Hiphop, House unter, überlassen den Rhythmus einem Stepptänzer oder spielen unter Wasser weiter – blub, blub.

Das pulsierende Herz aber ist Sonia Fernandez Velasco, Künstlername Colotis Zoé, Schauspielerin, Musikerin, Sängerin und kampferprobt in improvisiertem Theater. Colotis Zoé, das ist ein Schmetterling auf Madagaskar, den sie auf der Briefmarke einer alten Postkarte sah. Dieses Pseudonym entspricht der vokalen Beweglichkeit der Sängerin: Mal klingt sie wie die Andrew Sisters im Durchlauferhitzer, dann meint man eine Kreuzung aus Shirley Bassey und Billie Holiday zu hören, anschließend mutiert sie zu einem leicht hysterischen weiblichen Satchmo und scattet über einem Beat-Bett. Die Geschichte, wie sie bei Caravan Palace ans Mikrofon kam, klingt erfunden, ist aber wahr: Als die Band damit anfing, erste Tracks auf ihre My-Space-Seite zu stellen, war sie die erste, die einen Kommentar hinterließ. Seitdem waren mehr als eine Million Besucher auf der Seite – und Colotis Zoé ist vom Fan zum Bandmitglied avanciert.

Auf dem Cover der CD sitzt ein Roboter neben einem Trichtergrammofon und schaut sich eine Plattenhülle an. Ein bisschen so fühlt man sich mit der Musik von Caravan Palace: unterwegs vom Vorgestern ins Übermorgen.

■ Caravan Palace: „Caravan Palace“ (Café de la Danse/Ministry of Sound). 20. 5. Lörrach, 26. 5. Frankfurt, 27. 5. Köln, 28. 5. Berlin, 29. 5. Hamburg, 30. 5. München