Das Schicksal im Sucher

Ein Drucker und ein Fotograf aus Essen haben den Pennerkalender 2005 herausgebracht: Zwölf aufrüttelnde, puristische Porträts von Menschen, die irgendwann auf der Straße gelandet sind

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Sich Kalender mit aalglatten Promi-Fratzen an die Wand zu pappen, ist so ziemlich das Albernste, was man machen kann. Denn die Antlitze von Pam und Kylie sagen gar nichts. Sie sind leer. Langweilig. Im Gegensatz zu den Gesichtern jener Menschen, die den so genannten Pennerkalender zieren, der soeben von einem Drucker und einem Fotografen aus Essen vorgelegt wurde.

Den dort abgebildeten Menschen steht ihr Schicksal buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Zum Beispiel Jürgen: Seit acht Jahren vegetiert der 70-Jährige auf den Straßen des Ruhrgebiets, im Sommer wie im Winter. Obdachlos wurde er nach einem Autounfall, der ihm das Leben zerschmetterte. Heute ist Jürgen nahezu blind. Das rechte Auge ist nur noch ein Schlitz, darunter hat sich eine tränenförmige Warze gebildet. Jede Furche, jede Falte seines wettergegerbten Gesichts scheint von dem Schmerz und dem Schrecken zu erzählen, den er ertragen muss.

Draußen auf der Straße würde man diese Details vielleicht übersehen, würde wegschauen, weitergehen. Dem Kalender aber kann man schon deshalb nicht entkommen, weil er so puristisch gearbeitet ist. Fotograf Matthias Duschner hat die Wohnungslosen nämlich nicht dort abgelichtet, wo sie sich tagtäglich aufhalten. Er hat sie in sein Fotostudio geholt, um ausschließlich ihre Gesichter in Szene zu setzen – auf schwarzem Grund, ohne störende Umgebung. Das ist es letztlich, was die Porträts so eindringlich werden lässt. Außerdem vermeidet die Abwesenheit von schmutzigen Schlafplätzen und verwahrlosten Straßenzügen das unnötige Pathos, aus dem Fotodokumentationen über Obdachlose sonst ihre Wirkung saugen. Leander Gilbert, der das Projekt initiiert hat, will mit dem Kalender vor allem eines: aufrütteln. Die Leute sollen sich mit den Themen Obdachlosigkeit und Armut auseinandersetzen. Jenen, die ewig über die schlechte Konjunktur klagen, wolle er zeigen, „dass da Leute sind, denen es noch schlechter geht“, sagt Gilbert, aus dessen Druckerei die Kalender kommen. Um Aufmerksamkeit zu erwecken sollten die Kalender natürlich an der Wand hängen. Damit sich die Leute wundern, sich endlich fragen, was für Menschen das sind, an denen sie Tag für Tag vorbei gehen. Und vor allem fragen, warum sie auf dem Boden kauern? Was sie dort hin gebracht hat? Das erzählt der Kalender, der in einer Auflage von 1.000 Stück erschienen ist, in kurzen Texten neben den Fotos. Der Erlös des Projekts soll den Obdachlosen zugute kommen. Das eingenommene Geld wird an das so genannte Arztmobil und an die Jugendschlafstelle in Essen gespendet, ohne deren Existenz mancher der Abgebildeten vielleicht schon gar nicht mehr leben würde.

Pennerkalender 2005, 14,80 EuroBestellung: 0201-236766