Freund und Helfer bei der Arbeit

Polizeibeamte sind anfällig für Vorurteile gegenüber Roma und Sinti. Das weiß Walter Vollmer aus eigener Erfahrung. Der Ex-Chef der Kölner Kripo erforscht die Rolle der Kölner Polizei in der NS-Zeit

Von Christiane Martin

Walter Vollmer ist auf einem Bauernhof groß geworden. „Wenn die Zigeuner kamen, wurden die Hühner in den Stall gescheucht“, erzählt der ehemalige Kölner Kriminaldirektor. Die fahrenden Leute galten als Diebe. Trotzdem wurde auch in seiner Familie das Lied vom lustigen Zigeunerleben gesungen und die Dienstleistungen der Kesselflicker und Scherenschleifer gern in Anspruch genommen. „Diese Diskrepanz fiel mir schon als Junge auf“, sagt Vollmer.

Es dauerte trotzdem noch viele Jahre, bis aus dem 63-Jährigen das wurde, was er heute ist: ein Geschichtsforscher, der sehr differenziert und aufgeklärt das Verhältnis der deutschen Bevölkerung insbesondere aber der Polizei zu den Roma und Sinti bewertet. Als solchen lud ihn der Rom e.V. zu einem Abendkolloquium ein. Dort berichtete Vollmer von einem ganz persönlichen Erfahrungsgang, der ihn tief in die Archive der Kölner Polizeigeschichte und zu einer erstaunlichen Wandlung führte.

Noch in den 60er Jahren rückte Vollmer als Kriminalbeamter mit einem Großaufgebot an Einsatzkräften aus, wenn er den Auftrag hatte, im Sinnersdorfer Sinti-Lager Pässe zur Überprüfung zu beschlagnahmen. „Ich dachte einfach, dass das Zigeuner sind und dass die gefährlich werden könnten“, sagt er und ist heute noch beschämt, wenn er sich erinnert, wie kooperativ die Roma und Sinti damals waren.

Später begann Vollmer sich mit der Rolle der Polizei im Dritten Reich zu beschäftigen, einem in Polizeikreisen lange tabuisierten Kapitel. Die Erkenntnis, dass auch die deutsche Kripo damals „nichts anderes als eine Mörderbande war“, habe ihn schwer getroffen. Der junge Polizist Vollmer hatte Ende der 50er Jahre gelernt, dass die Polizei in der Nazizeit ausschließlich Verbrecher jagte und Menschen rettete – und das weder hinterfragt noch angezweifelt. Als er sich 1996 einer Arbeitsgruppe anschloss, die die Geschichte der Kölner Polizei zur Nazizeit untersuchte, gingen ihm die Augen auf. Vollmer stieß wieder auf die Zigeuner – und wurde dadurch nicht nur nachdenklich, sondern hellwach.

„Viele Dokumente, die wir aus den Tiefen der Archive bargen, beweisen, dass die Kripo in Köln eng mit der Gestapo zusammenarbeitete“, erzählt Vollmer. In einer 4.000 angebliche Straftäter umfassenden Kartei finden sich zahlreiche Roma und Sinti, die ohne Straftatbestand erfasst wurden und von der Kölner Polizei an die Gestapo ausgeliefert wurden – zum Abtransport in Konzentrationslager.

Auch dass die Vorurteile gegen Roma und Sinti älter als die Nazizeit sind, lernte Vollmer. Schon Luther nannte sie „verschlagene Diebe“, und die Preußen legten Zigeunerkarteien an, in denen sie alle Menschen dieser Abstammung erfassten und beschrieben. „Bis spät in die 70er Jahre wurden diese Karteien noch für die Strafverfolgung benutzt“, empört sich Vollmer, der davon während seiner eigenen Dienstjahre nichts gewusst habe.

Heute leben in Köln ungefähr 7.000 Roma und Sinti, die Hälfte als geduldete Flüchtlinge mit allen Schwierigkeiten, die dieser Status mit sich bringt. Bei weiten Teilen der Bevölkerung stehen sie unter dem Generalverdacht, kriminell zu sein. Illegaler Aufenthalt, Sozialhilfemissbrauch oder Diebstahl werden ihnen pauschal vorgeworfen. Von einzelnen schwarzen Schafen wird auf alle geschlossen.

Das ist vor allem bei der Polizei ein verbreiteter Automatismus. Im Dienst hätten sie laut Vollmer nun mal nur mit den „Bösen“ zu tun. Diese Betriebsblindheit werde vielen Beamten im Polizeidienst zum Verhängnis und für Vorurteile seien sie besonders empfänglich. Deshalb verlangt er von den Kollegen eine besondere Sensibilität, ständige Selbstüberprüfung und eine darauf ausgerichtet Ausbildung der Polizisten.

„Es gibt inzwischen eine Reihe von fortschrittlichen und liberalen Polizisten“, sagt Kurt Holl vom Rom e.V. Wenn ein ehemaliger leitender Polizeibeamter so auftritt wie Vollmer, mache das Schule. „Ein guter Anfang“, so Holl. Trotzdem können er und seine Mitstreiter vom Rom e.V. unzählige Geschichten von der alltäglichen Diskriminierung der Kölner Roma und Sinti auch durch die Polizei erzählen.