Jugendarbeit auf Kinderfahrrädern

Der Mellowpark in Köpenick ist die größte Anlage für BMX-Biker in Berlin. Hier trainieren nicht nur die Stars der Szene: Ein Verein macht Jugendarbeit für genau jene Kids, die sich vom klassischen Sportverein nicht angesprochen fühlen

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Der erste Schnee ist gefallen, die Bahnen sind vereist. Im Mellowpark ist die Saison zu Ende. Doch sobald es wieder ein paar Tage trocken ist, wird es weitergehen. Dann treffen sie sich wieder. Unfrisiert wirkende Langhaarmähnen, überdimensionierte Hosen, deren Bund kurz über den Kniekehlen schwebt, und Gesichtsausdrücke, die Gelassenheit, Selbstbewusstsein und einen Hauch von Arroganz widerspiegeln. Sie sind zwischen 14 und 18 Jahre alt, ausgewachsene Jünglinge – und sie sind auf Kinderfahrrädern unterwegs. So bezeichnen die immer coolen Radler ihre Gefährte selbst: Sie fahren auf BMX-Rädern.

Die besten BMX-Biker Berlins treffen sich regelmäßig in Köpenick. In der Friedrichshagener Straße neben einer verfallenen Industrieruine im Backsteinlook, gegenüber einem gigantischen Sichtbetonmonster, das einen Baumarkt beherbergt, befindet sich der Mellowpark. Auf einem schmalen Streifen zwischen ehemaligen Zweckbauten trifft sich Berlins Kinderfahrradszene. Für einen Euro am Tag kann man das Gelände benutzen. Skateboarder und BMXler verteilen sich auf der riesigen Anlage und trainieren.

Doch nicht nur die Besten der Besten trainieren im Mellowpark. Wer das erste Mal auf einen 20-Zoller unterwegs ist, für den stehen Fachleute für eine Einführung parat. Rasch schon fahren auch die Novizen über riesige Rampen – wie selbstverständlich und ohne Angst.

Das Erstaunlichste dabei: Etliche Mädchen machen sich an die Beherrschung der Parcours. Vor einiger Zeit haben die Mellowpark-Macher Kurse für Mädchen auf Kinderrädern angeboten. Der Erfolg kann sich sehen lassen: BMX wird weiblicher. An Aktionen wie dem Mädchen-Workshop kann man die soziale Funktion des Geländes ablesen. Hinter dem Mellowpark steht ein junges Team von Jugendbetreuern, die dem Verein „All eins“ angehören. Sie stehen für die faszinierende Geschichte der Fortentwicklung eines ehemaligen FDJ-Jugendclubs zu einer der ersten Anlaufstellen der Jugend Berlins, wenn es um Funsport und Freizeitgestaltung geht. Als der ehemalige Jugendclub im Allendeviertel eins – daher der heutige Vereinsname – einem Einkaufszentrum weichen musste, zogen die Jugendbetreuer in eine relativ tote Ecke Köpenicks um. Statt sich darüber zu beklagen, erkannten sie das Potenzial des Geländes. Zunächst wurde das Gelände, das direkt an der Spree liegt, nur für spezielle Veranstaltungen genutzt. Heute beheimatet es den größten BMX-Park Berlins. Die besten deutschen Piloten wie Timo Pritzel und Tobias Wicke trainieren hier.

Marko Lauber, der beim Trägerverein für das Gelände zuständig ist, weist ausdrücklich auf die Verbindung von Spitzensport und Jugendarbeit hin. Gerade Jugendliche mit Problembiografien in ihrem Elternhaus seien oft froh, wenn sie sich in einem Umfeld bewegen können, in dem sie sich einerseits aufgehoben fühlen und andererseits nichts von ihrem Lifestyle preisgeben müssen. Wenn sie dann noch Spaß finden am Herumtricksen mit ihren Rädern, dann hat die Jugendarbeit schon gegriffen. Genau die Kids, die sich vom klassischen Sportverein nicht angesprochen fühlen, sind im Mellowpark gut aufgehoben. Und für diejenigen, die sich sportlich weiterentwickeln wollen, übernimmt der Trägerverein Aufgaben, die sonst beim Sportclub liegen.

Wenn BMX-Wettbewerbe in anderen Städten ausgeschrieben sind, werden Fahrten organisiert, Betreuer angeheuert und Übernachtungen besorgt. Zudem werden im Mellowpark jedes Jahr mehrere große Events veranstaltet. Ziel dabei ist es, nicht nur den Sport zu fördern, sondern auch die Aufmerksamkeit der Berliner Öffentlichkeit auf dieses wohl einmalige Projekt der Jugendarbeit zu lenken. Bis zu 3.000 Zuschauer, meistens Jugendliche, brechen dann nach Köpenick auf. Denn es hat sich inzwischen herumgesprochen bei Berlins Jugend: Im Mellowpark sind die abgefahrensten Radler Berlins unterwegs. Und wenn die Bahnen eisfrei sind, dann radeln sie auch im Winter über die Rampen.