NEBENSACHEN AUS BUENOS AIRES VON JÜRGEN VOGT
: Schlange stehen für Centavo-Münzen

IN ARGENTINIEN IST KLEINGELD DERZEIT MANGELWARE. DER HANDEL DAMIT FLORIERT

In Argentinien herrscht Kleingeldmangel. Als Konsequenz hat sich am Río de la Plata ein schwungvoller Handel mit Münzen entwickelt. Seit der letzten Fahrpreiserhöhung beim öffentlichen Nahverkehr ist der Preis für 100 Pesos Kleingeld von 6 auf 8 Pesos gestiegen.

Wer in Buenos Aires mit dem Bus fährt, braucht Münzgeld. Dem Fahrer wird beim Einstieg der Fahrpreis genannt, dann wird der Automat gefüttert, bis er das Ticket ausspuckt. Der nimmt jedoch nur Münzgeld und der Fahrer hat aus Sicherheitsgründen kein Geld bei sich.

Mit jeder Fahrpreiserhöhung verschärft sich die Lage. Allein von Oktober bis Februar ist der Preis für die normale Fahrt in den Bussen der Hauptstadt Buenos Aires von 80 Centavos auf 1,25 Peso gestiegen. Wer heute einmal mit dem Colectivo hin- und zurückfährt, braucht 90 Centavos in Münzen mehr. Im Februar hatte Präsidentin Cristina Kirchner per Dekret die Einführung eines einheitlichen Ticketsystems innerhalb von 90 Tagen angeordnet. Damit soll nicht nur das Kleingeldproblem aus der Welt geschafft, sondern auch ein Kombiticket für S- und U-Bahnen und Busse geschaffen werden. Wer heute mit der S-Bahn in die Hauptstadt fährt, dort in die U-Bahn steigt und dann noch mit dem Bus weiter muss, braucht drei verschiedene Fahrscheine, die er an drei verschiedenen Stellen auch kaufen oder bezahlen muss.

Anfang Mai waren die 90 Tage um, passiert ist nichts. Zwar gibt es für die U-Bahn Mehrfahrtenkarten, doch die kauft kaum jemand. Mehrfahrtenkarten kosten umgerechnet so viel wie ein Einzelfahrschein, und wer mit einem Zwei-Pesos-Schein das Einzelticket zum Preis für 1,10 Peso kauft, bekommt 90 Centavos Münzgeld zurück.

Die Privatbanken sind zwar zur Ausgabe von Münzgeld an ihre Kunden verpflichtet, aber dort zuckt das Personal nur entschuldigend mit den Schultern. Die Lage ist derart dramatisch, dass die Zentralbank schon vor Monaten Ausgabestellen für Münzgeld in den großen Bahnhöfen der Hauptstadt eingerichtet hat. Pro Person können hier höchsten 20 Pesos Münzgeld getauscht werden. Im Schnitt stehen im großen Umsteigebahnhof Constitución bis zu 20.000 Personen täglich an, um ihre 20-Pesos-Banknoten zu wechseln.

Kleingeld ist aber nicht nur Fahrgeld. Große Geschäfte, kleine Läden, Kioske und Restaurants leiden unter den klammen Kleingeldfächern in ihren Kassen. So steht Alfredo heute bereits zum dritten Mal am Schalter der Zentralbank in Retiro an. Sein Sohn hat eine Bäckerei und braucht pro Woche rund 200 Pesos Wechselgeld. Für den Vater bedeutet das 20-mal Schlange stehen. In 45 Minuten, schätzt der Rentner, könnte er wieder dran sein. Im Friseurgeschäft von Carlos hat dafür niemand Zeit. Der Friseur kauft sein Wechselgeld beim Kiosk an der Ecke. Der bezieht es von den Endhaltestellen der Buslinien. Dort, wo die Automaten geleert werden, stehen die Aufkäufer Schlange. 100 Pesos Münzgeld gibt es für 8 Pesos.