Alte Geschichten bahnen sich neue Wege

Wissenstransfer modern: Das historische Fachjournal „Zeitenblicke“ gibt es nur im Internet. Die Erscheinungsweise bringt viele Vorteile mit sich

KÖLN taz ■ Die Sache mit der Hexenverbrennung drang bis nach Ohio. Fünf Tage nach Veröffentlichung hatte Gudrun Gersmann eine E-Mail auf ihrem Rechner, in der sich eine amerikanische Wissenschaftlerin für die fundierte Darstellung dieses historischen Themas bedankt. „Wenn wir ein gedrucktes Magazin wären, wäre so etwas undenkbar“, sagt Gersmann und freut sich über den Erfolg der von ihr mitinitiierten Internet-Fachzeitschrift Zeitenblicke.

Das E-Journal, das sich mit historischen Themen, vor allem mit der Frühen Neuzeit beschäftigt, ist ein Kind des Internetportals historicum.net. Seit fünf Jahren bietet dieses Netzwerk elektronische Journale, Rezensionen, Materialien für den Einsatz in Unterricht und Lehre, Dokumentation aktueller Diskussionen sowie Terminankündigungen und umfangreiche Linksammlungen für Historiker und interessierte Laien an. Unter dem Namen Server Frühe Neuzeit wurde das Projekt 1999 in einem Kooperationsprojekt des Historischen Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Bayerischen Staatsbibliothek aus der Taufe gehoben. Professorin Gudrun Gersmann, die schon als wissenschaftliche Mitarbeiterin in München an diesem Projekt mitwirkte, hat die Idee mit an die Universität Köln gebracht. Sie war es auch, die im Sommer 2002 den „Zeitenblicken“ zusammen mit Hubertus Kohle, Matthias Schnettger und Michael Kaiser den Weg ins World-Wide-Web ebnete.

Dass Historiker der guten alten Zeit und guten alten Materialien wie dem Papier als Träger ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse abschwören, hat zuvorderst einen pragmatischen Grund. „Bei Printmedien gibt es immer leidige Platzprobleme“, erklärt Gersmann. Ute Langer, an Gersmanns Lehrstuhl der Geschichte der Frühen Neuzeit für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, fügt hinzu: „Wir können Texte mit Originalquellen verlinken, da kann dann kein Student mehr sagen, er hätte die in der Bibliothek nicht gefunden.“ Außerdem könnten auch Filmaufnahmen und Audioquellen die Texte illustrieren, was in einem gedruckten Magazin nicht möglich wäre.

Auch in punkto Schnelligkeit sei das E-Journal seinem papiernen Kollegen natürlich haushoch überlegen. Zeitenblicke kann problemlos in einem Monat konzipiert werden, ein gedrucktes Magazin würde viel mehr Zeit kosten“, sagt Geschichtswissenschaftlerin Langer. Ein Vorteil sei auch die weltweite Verbreitung. Mit den Zeitenblicken erreichen die Wissenschaftler der Universität Köln Kollegen in der ganzen Welt. „Die Internationalität ist sehr reizvoll“, bekräftigt Gersmann.

Auch ältere Wissenschaftler hatten nach Auskunft Gersmanns keinerlei Berührungsängste mit dem virtuellen Journal, das seit April diesen Jahres vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein- Westfalens finanziell gefördert wird. Ein Vorteil sei, dass in anderen Wissenschaften wie zum Beispiel der Medizin die Wissensverbreitung über das Internet bereits seit einigen Jahren Normalität sei. Den Zeitenblicken haftet also in Wissenschaftskreisen nicht mehr der Ruf des Revolutionärs an. „Ich habe mich selbst ein wenig gewundert, aber viele, auch namhafte Autoren haben sehr schnell Vertrauen zu uns gefasst“, berichtet Gersmann. Und auch gelesen werden die Seiten, die drei Mal innerhalb eines Jahres erscheinen, von rund 20 000 Nutzern in der Woche. „Verglichen mit einem Druckerzeugnis ist das extrem viel“, versichert Gersmann.

In der Geschichtswissenschaft haben Gersmann und ihre Mitstreiter einen neuen Pfad des Wissenstransfers eingeschlagen, den auch gedruckte Konkurrenzblätter gerne beschreiten würden. Gersmann freut sich, dass Zeitenblicke andere Fachzeitschriften zum Nachahmen animiert: „Wir haben viele Anfragen von Machern gedruckter Zeitschriften, die ihr Produkt jetzt auch ins Netz bringen wollen.“

CLAUDIA LEHNEN

www.zeitenblicke.de