Syrien und die Türkei kommen sich näher

Der türkische Regierungschef Erdogan besucht Syrien, um ein Freihandelsabkommen zu unterzeichnen. Das ist für die Regierung in Damaskus das Einfallstor zur EU. Die alten Feinde haben sich auch auf anderen Gebieten angenähert

AUS DAMASKUSKRISTIN HELBERG

Jahrzehntelang verlief zwischen dem Nato-Mitglied Türkei und dem sozialistischen Syrien die Grenze zwischen Ost und West. Jetzt gründen die Nachbarn eine Freihandelszone. Aus ideologischen Feinden sind strategische Freunde geworden, die eine Brücke zwischen Europäern und Arabern bauen könnten.

In Baha ad-Din Hassans Büro im Stadtzentrum von Damaskus herrscht Hektik. Zwischen Papierbergen und aufgeregten Mitarbeitern telefoniert der Vorsitzende des „Vereins türkischer und syrischer Geschäftsleute“ pausenlos mit Kollegen. Denn mit dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan werden heute rund 100 Unternehmer nach Damaskus kommen. Erdogan und Syriens Präsident Baschar al-Assad wollen ein Freihandelsabkommen unterzeichnen.

Bislang handeln die beiden Nachbarn nur Waren im Wert von 800 Millionen Dollar pro Jahr, ohne Zölle könnten sich Im- und Exporte bald verdoppeln, so die Erwartungen. „Wir Syrer sehen in der Türkei ein Tor nach Europa“, sagt Hassan. Gleichzeitig ermögliche Syrien der Türkei den Zugang zur arabischen Welt und zur Golfregion, denn Syrien sei das erste arabische Land, das ein Freihandelsabkommen mit der Türkei schließe.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit soll Vertrauen schaffen zwischen den Nachbarn. Jahrzehntelang hatten türkisches und syrisches Militär ihre Waffen aufeinander gerichtet. 1998 wäre es fast zum Krieg gekommen, weil oppositionelle Kurden in Syrien Unterschlupf gefunden hatten. Kurz darauf schlossen Ankara und Damaskus ein Sicherheitsabkommen. Es sollte das Einsickern bewaffneter Gruppen verhindern und betraf vor allem Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Inzwischen liefert Damaskus PKK-Kämpfer in die Türkei aus, die Kurdenfrage beschäftigt beide Länder. Aus dem einstigen Streitpunkt sei ein gemeinsames Interesse geworden, sagt Khorschid Dale, ein politischer Analyst. „Die wachsende Autonomie der Kurden im Irak bereitet beiden Ländern Sorge, denn sowohl in der Türkei als auch in Syrien leben kurdische Minderheiten“, so Dale.

Nicht nur hinsichtlich der Kurden hat der Irakkrieg die Nachbarn vereint. Syrien und die Türkei fürchten beide ein Auseinanderbrechen des Irak, neue Grenzen könnten die nationale Integrität der Nachbarländer in Frage stellen. In der Diskussion um die zukünftige Gestaltung des Irak arbeiten Ankara und Damaskus deshalb eng zusammen.

Aber es gibt auch Unterschiede, vor allem im Verhältnis zu den USA und Israel. Syrien sieht in der US-Regierung einen Handlanger Israels, das bis heute auf dem Golan syrisches Staatsgebiet besetzt hält. Für die Türkei sind Amerikaner und Israelis dagegen militärische Verbündete. Ankara versorgt also Syriens Kriegsgegner Israel mit Waffen.

Mohammed Al-Hallak, Vorsitzender des türkisch-syrischen Freundschaftskomitees im syrischen Parlament, sieht darin kein Problem. „Im Gegenteil. Wenn die Türkei ein gutes Verhältnis zu anderen Staaten hat, wird uns das helfen“, meint der Abgeordnete. Mehrfach hat Ministerpräsident Erdogan bereits angeboten, im Nahostkonflikt zu vermitteln. Den Syrern sei das recht, so Al-Hallak.

Zunächst müssen Ankara und Damaskus jedoch ihre eigenen Konflikte lösen: den Grenzstreit um die Region Iskanderun und die Ansprüche auf das Wasser von Euphrat und Tigris. Iskanderun liegt heute auf türkischem Territorium, Syrien beansprucht das Gebiet aber für sich. Geschäftsmann Hassan glaubt an eine Einigung. „Das Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien war völlig vermint, jetzt sind sie dabei, die Minen zu räumen.“ Über Iskanderun werde Präsident Assad auch noch verhandeln, meint Hassan, „zu gegebener Zeit und in aller Ruhe“.

Bleibt das Problem mit dem Wasser. Euphrat und Tigris fließen durch die Türkei nach Syrien und in den Irak. Seit Jahrtausenden sind sie die Lebensquellen des nach ihnen benannten Zweistromlandes. Mit Staudämmen entnimmt die Türkei so viel Wasser, dass kaum etwas bei den Nachbarn ankommt. „Früher hat die Türkei gesagt, Euphrat und Tigris gehören uns, während Syrien die beiden Flüsse als internationale Gewässer bezeichnet hat“, erklärt Türkeiexperte Dale. Jetzt soll eine Kommission aus Türken, Syrern und Irakern das Wasser gerecht aufteilen.

Freihandel, Minenräumen, Staatsbesuche – Syrien und die Türkei besinnen sich alter Freundschaft. 400 Jahre osmanische Herrschaft verbindet die Menschen, beide Länder sind islamisch geprägte säkulare Staaten. Sollte die Türkei EU-Mitglied werden, könnte Syrien auch innenpolitisch profitieren, hofft Dale. „Die Türkei wird ein Rechtsstaat sein, der sich an internationale Gesetze hält.“ Solch ein Land könne als Nachbar Syriens helfen, Reformen umzusetzen und europäische Standards einzuführen, glaubt der Syrer. „Die Nähe Europas macht Mut zur Veränderung.“