Das Gerüst des Lebens

Planen und bauen: Colin McAdams schöner Roman „Das große Ding“

Jerry McGuinty, ein junger Gipser auf dem Bau, ist der zugigen Spanplattenhäuser überdrüssig. Er wird ein paar Männer anheuern, Häuser mit Putzwänden bauen, fest und standhaft, und es innerhalb weniger Jahre im kanadischen Ottawa der Siebzigerjahre zum Bauunternehmer bringen. So viel zum Gerüst. Dabei beginnt Colin McAdams Debütroman „Ein großes Ding“ ganz anders, mit dem Ende nämlich und mit einer Hürde: fünf Seiten whiskyseliger Dialog im Frisiersalon. Die Dame, die zur Flasche greift, ist Kathleen Herlihy, und es ist von eben diesem Jerry McGuinty die Rede, der einmal ihr Mann war. Wenige kurze Kapitel später fängt Jerry zu erzählen an.

Colin McAdam lässt ihn so erzählen, wie einer spricht. „Sie wissen schon“, sagt Jerry also, oder „mein Freund“ – und bald ist man hineingezogen in diese Welt, in der nichts ist als die Baustellen und die grünen Hügel, über die Kathleen mit ihrem gelben Imbisswagen von einer Kolonne zur nächsten fährt. Jerry ist mitten darin, eindringlich und ein bisschen atemlos, und sein Zuhörer, der Leser also, schlendert nebenher. Riechen soll er, anfassen, alles ansehen. Und fühlen, wie das ist, wenn man sagen kann: „Das alles ist meins.“

Der Kanadier Colin McAdam, 1971 geboren, in Hongkong, Dänemark, England und Kanada aufgewachsen und heute in Sydney und Montreal zu Hause, hat einen großartigen Roman geschrieben. Der ist leichthin erzählt, hat mitunter über Seiten nur Dialoge, schnell, rasant, nach vorne, und scheut auch den Ernst nicht. Und nie, nie ist da eine Instanz – ein Autor –, der sich zwischen Jerry und seine Welt schöbe, der blinzelte oder hämte. Colin McAdam hat lebendige Figuren geschaffen, keine Typologien, und er liebt sie noch da, wo ihnen nur noch der Rotz aus der Nase rinnt. Am Anfang steht die Wand. Und Verputzen ist eine Form der Zärtlichkeit. Mühelos überführt Jerry die karge Welt des Bauens ins Sinnliche, bisweilen Poetische. Dann wird er diskret, eigentümlich scheu. „Wie ein Blütenblatt“ berührt Kathleens Stimme seine Ohren, oder: „Ich könnte Ihnen alles erzählen. Wie wir uns wanden, wie ich nackig aussehe. Das könnte Ihnen gefallen.“ Doch sicher: Er wird es nicht tun.

Mit Simon Struthers kommt der zweite Protagonist ins Spiel. Struthers, Ministersohn und Staatsbeamter, ist Direktor für Landplanung. Jerry und er begegnen sich nie, außer sporadisch im Schriftverkehr der Baubehörde. Was hätten sie schon miteinander zu tun? Der eine, Jerry, bewegt sich zügig in der Welt der Dinge, baut Siedlung um Siedlung. Der andere, Simon, lässt langsame Jahre im gewaltigen Nichts der Baubehörde vergehen. Verwandelt Memos in „Klostergärten des Wortes“, entscheidet sich für das Nichtentscheiden. So bekommt das Zögerliche vorübergehend eine feste Form, und für eine Weile gelingt auch Simon eine gewisse Schnittigkeit. Mit den Frauen etwa: für Simon eine Art Indikator, ob man noch im Leben ist. Die Kollegin, durch deren Fenster Simon nachts vom Zaun aus späht. Kwyet, die Tochter eines verfeindeten Arbeitskollegen, deren Schweigen Simon günstig deutet: „Sie sagte nichts, aber ich glaube, sie meinte viel.“

Die soliden Wände des einen also stehen gegen die dunstige Rhetorik des anderen. Doch wie stabil ist schon das Versprechen der massiven Wand? Stolz steht sie da, wie ihr Schöpfer Jerry McGuinty. Der feststellen muss, dass mit dem Haus, das man baut, noch keineswegs über das Leben darin entschieden ist. „Das war nicht das Zimmer, das ich gebaut hatte.“ Und weil er die Wendung nicht versteht, die das Leben genommen hat, mit der Frau und dem Sohn, beginnt er zu erzählen, von Anfang an.

So ist „Ein großes Ding“ eine Geschichte vom Abhandenkommen. Unterschiedlich wie sie sind, geht beiden Protagonisten die Gewissheit verloren, der zu sein, der man einmal glaubte, werden zu können. Seither atmet Simon Struthers flach, weil allein das die alten Begierden fern hält. Jerry McGuinty geht einen anderen Weg. Aber davon soll er selbst erzählen. KATRIN KRUSE

Colin McAdam: „Ein großes Ding“. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Wagenbach Verlag, Berlin 2004, 374 S., 22,50 Euro